هجرة  Migration und Kommunen-Vortrag

Vortrag: Dr. Bettina Gruber am Alpbachforum: Universitätsforum Alpbach, September  2012, Rahmenthema des Forums:  MIGRATION, BILDUNG UND JUGEND

Der gesamtpolitische Rahmen

Am Beginn des 21. Jhdts. wurden in der Europäischen Union die Schranken für den grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Kapital weitgehend beseitigt und für Bürgerinnen und Bürger gilt seither Freizügigkeit. Auch über die Grenzen Europas hinaus ist mit der Globalisierung international grenzenloses Bewegen von Kapital, Kommunikation und Dienstleistungen enorm angestiegen. Es sind vor allem die gut qualifizierten Menschen weltweit, die eine hohe Bewegungsfreiheit genießen. Dieser globale Trend zur Mobilität und Freizügigkeit geht allerdings mit scharfen Kontrollen an den EU-Außengrenzen und einer zwiespältigen Migrationspolitik der Europäischen Gemeinschaft einher. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit dramatischen Meldungen im Kontext ertrunkener MigrantInnen aus Afrika vor der Insel Lampedusa konfrontiert werden, mit den „Boat People“ in der Meerenge von Gibraltar, mit gekenterten Schiffen mit Flüchtlingen in der Ägais, die von Schleppern unter unvorstellbaren Bedingungen nach Europa gebracht werden, um einem vermeintlich besseren Leben entgegenzublicken, wir erfahren auch von Menschen, die immer wieder isoliert von der Umwelt, in der Schubhaft, schlechter behandelt als Schwerverbrecher, ihrem Leben ein Ende setzen wollen.

Oder denkt man an die jüngst in den Österreichischen und Deutschen Medien aufgegriffenen unhaltbaren Zustände von Asylwerbenden auf der Saualm und in weiteren privaten Unterkünften in Kärnten.

Häufig sind es also schlechte Nachrichten, wenn Migration und Zuwanderung ins Blickfeld gerückt werden. Es gibt regelmäßige Meldungen über Anschläge, Unruhen und auch Morde an KünstlerInnen und PolitikerInnen im Zusammenhang mit kulturellen und sozialen Konflikten. Besonders betroffen macht es, wenn sich ehemals Vorzeigeländer im Kontext der Migration wie etwa die Niederlande zunehmend mit rechtspopulistischen Entwicklungen auseinander zu setzen haben. In vielen Ländern Europas, wie etwa Italien, Ungarn und Österreich, um nur drei Beispiele zu nennen, sind beängstigende Entwicklungen in Richtung zunehmender Verstärkung des Rechtspopulismus zu beobachten. In ganz Europa leugnet nach wie vor ein Großteil der Regierungen, dass die Länder Europas zu Einwanderungsgesellschaften geworden und verpflichtet sind, allen BwohnerInnen einen Rahmen für ein lebenswertes Dasein zu schaffen Nach Jahrzehnten kontinuierlicher Zuwanderung nach Europa wird nach wie vor vermieden, von einer „Einwanderungsregion Europa“ zu sprechen.

Der  internationale, europäische, nationale Rahmen und die nationale Gesetzgebung beeinflussen nun wesentlich die Voraussetzungen für ein Zusammenleben von Gruppen und Individuen in Städten und Regionen.

Es ist daher von höchster Relevanz, den damit einhergehenden strukturellen und institutionell verankerten Rassismus wahrzunehmen und mitzudenken. Petra Neuhold und Paul Scheibelhofer formulieren dies wie folgt:

„Es geht einerseits um Kritik an einem Verständnis von Integration als notwendige Eingliederung der MigrantInnen in eine nationale ‚Containergemeinschaft` - selbst dann, wenn dies als multikulturell imaginiert wird. Andererseits eröffnet dieser Zugang einen ‚Multikulturalismus von unten` zu formulieren, der Sexismus, Kapitalismus, Postkolonialismus und die damit in Verbindung stehenden Konjunkturen des Rassismus transparent macht“

In  diesem Kontext müssen wir auch permanent eine Auseinandersetzung  über den Begriff und die Inhalte des Schlagworts Integration, das in aller Munde ist, und die damit einhergehenden Vorstellungen führen.

Integrations und- Desintegrationsprozesse können nicht exklusiv im Zusammenhang mit Migration thematisiert werden - sie sind ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das auch Menschen ohne Migrationshintergrund trifft und betrifft.Aktuelle sozialwissenschaftliche Untersuchungen in der Migrationsforschung. zeigen, dass die Schwierigkeiten im Zussammenleben in den Rahmenbedingungen liegen, die Zugewanderten zugemutet werden

(politische, rechtliche Diskrimiierung, nationalistische, ethnisierende und rassistische Diskurse und Vorurteile).

Der Soziologe Hartmut Esser meint in diesem Zusammenhang:

„Die Platzierung auf möglichst zentralen Positionen einer Gesellschaft ist der Schlüssel für jede nachhaltige Sozialintegration“

Kommunen als konkreter Ort des Zusammenlebens

Der konkrete Ort des Zusammenlebens sind Gemeinden, Städte, Regionen. Dorthin wirken nun die gerade beschriebenen Rahmenbedingungen; hier zeigen sich die weiten Spielräume des Miteinanders, das sowohl von hohen Spannungen, Auseinandersetzungen und Konflikten aber auch aufgrund nachhaltiger Konzepte und Maßnahmen in ein gewaltfreies und möglichst spannungsärmeres Zusammenleben münden können. Hier gilt es die Frage zu stellen, welche Möglichkeiten bestehen, Gemeinden und Städte gemäß den zumeist nach wie vor exkludierenden und vielfach diskriminierenden Bedingungen und Gegebenheiten neu zu gestalten.

Aktuelle Studien zeigen, dass innovative langfristige Konzepte das Zusammenleben in Kommunen wesentlich verbessern – hier  können zum Beispiel Bemühungen in Osnabrück, Stuttgart, Essen, Basel, Bregenz im deutschsprachigen Raum genannt werden, die über eine nachhaltige Schwerpunktsetzung eine hohe Sensibilisierung  für einschlägige Problemstellungen und relevante Zukunftsfragen erreichen konnten.

Es geht um lokal fortzuschreibende Gesamtkonzepte, in denen Diversität als Bereicherung und nicht als Defizit wahrgenommen wird, lokale Potenziale eingebunden und genutzt, Partizipationsangebote auf verschiedensten Ebenen angeboten und Bildungsschwerpunkte gemäß den Bedürfnissen vor Ort erfolgen.

Alle unter der Ägide kommunaler Verwaltungen stehenden Bereiche, wie etwa frühkindliche Erziehung, die Bereiche Wohnen, Gesundheit und vor allem auch der Bereich kulturelle Aktivitäten einer Stadt können, wenn sie offen und integrierend gestaltet werden, wesentlich zu einem spannungsfreieren Zusammenleben beitragen, auch wenn gesetzliche Rahmenbedingungen und arbeitspolitische Fragen nicht in Städten entschieden werden; so sind sie in der Lage, in den Bereichen Bildung und in der Ermöglichung von Partizipation einen unterstützenden Rahmen zur Verfügung zu stellen.

Gesellschaftliche Teilhabe und Bildung

Geht es nun um die Einbindung und gesellschaftliche Teilhabe vor allem von jungen Menschen, ist es unerlässlich, nicht nur die Jugendlichen selbst in den Blick zu nehmen, sondern sich auch die strukturellen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen anzusehen. Sie verfügen zu einem Großteil nicht über die gleichen Voraussetzungen der sozialen und gesellschaftlichen Partizipation, sondern werden nach wie vor zumeist als  ,ethnisch Andere’ mit erhöhtem Integrationsbedarf gesellschaftlich festgelegt (Geisen 2009,  S 10.).

Integrationsproblematiken wie etwa Arbeitslosigkeit, Bildungsbenachteiligung oder Schwierigkeiten des Spracherwerbs sind kein direkter Effekt von Migration, sondern wesentlich bedingt durch exkludierende Lebensbedingungen, die  MigrantInnen, vor allem Kinder und Jugendliche durch die Aufnahmegesellschaft vorfinden.

Gesellschaftliche Teilhabe hat wesentlich mit Bildungschancen zu tun – fremde Sprache und Kultur werden nach wie vor als Problem gesehen. Sprache und Kultur sind  als ,Distinktionsmerkmale’ wesentlich, um die Dichotomie von ,Eigenem’ und ,Fremden’ aufrecht zu erhalten. Dies hat nach den SprachwissenschafterInnen Ingrid Gogolin und Marianne Krüger-Potratz wesentliche Folgen für die Möglichkeiten bzw. Grenzen von Bildung und Partizipation bei Kindern und Jugendlichen.

Städte und Gemeinden können gesetzliche Rahmenbedingungen nicht negieren; sie können jedoch in längerfristigen Reflexionsprozessen diese Desintegrationsproblematiken in den Blickpunkt rücken und über kommunale Konzepte Inklusion fördern.

Dies kann durch die Initiierung langfristiger und nachhaltiger Gesamtkonzepte mit der Schaffung kontinuierlichen Kommunikations-, Dialog- und Vernetzungsstrukturen, der Installierung von Begegnungsräumen bzw. durch ergänzende Bildungsangebote für Eltern, KindergartepädagogInnen, LehrerInnen, LeiterInnen von Horten, MitarbeiterInnen öffentlicher Verwaltungsseinrichtungen in Kommunen erfolgen, sowie durch innovative Projekte und Maßnahmen im Kontext von partizipativen Ansätzen. Nicht zuletzt ist es wesentlich, dass sich die Vielfalt der Gesellschaft in der kommunalen Politik,  zentralen Stellen der öffentlichen Verwaltung und im öffentlichen Dienst widerspiegelt.

Es sind sind im Besonderen Sprachförderung im Vorschulbereich zu nennen, wobei die Ausbildung in der Muttersprache gleichwertig neben dem Erwerb der deutschen Sprache stehen muss, die Initiierung von Elternbildunsprojekten angebunden an Volksschulen und Kindergärten; adäquate Bildungsangebote für Eltern und Jugendliche in ihren jeweiligen Gemeinden; Schaffung von Räumen für Jugendliche außerhalb von Schule, in denen sich einheimische und zugewanderte Jugendliche begegnen können, Einbindung von zugewanderten Jugendlichen in Jugendforen und Jugendbeiräte, kulturelle Einbindung von MigrantInnenorganisationen - dies sind  nur einige Beispiele – ich beziehe mich hier auf jüngste Forderungen von ExpertInnen laufender oder durchgeführte Städteprojekte, Maßnahmen und Leitbilder in Vorarlberg, Oberösterreich und dem laufenden Leitbildprozess in Villach, den wir gerade begleiten. Es gilt hier, dass parallel möglichst viele gleichzeitige und den speziellen Bedürfnissen adäquate maßgeschneiderte Möglichkeiten für Teilhabe und Bildungschancen geschaffen werden.

Langfristige Konzepte für ein gutes Zusammenleben und deren wissenschaftliche Begleitung

Dabei  gilt es abschließend nochmals zu betonen, dass immer beide Ebenen in den Blick zu nehmen sind:

Einerseits geht es um das Sichtbarmachen der gegebenen politischen exkludierenden Rahmenbedingungen auf  europäischer und staatlicher Ebene, die den Ausgangspunkt für vielfach nicht funktionierendes Zusammenleben schaffen.

Jedoch auch hier könnten Städte konzertiert in ihren jeweiligen Nationaltaaten auf Veränderung dieser Rahmenbedingungen Einfluss nehmen.

Andererseits ist die kommunale und regionale Ebene wesentlich;  sie ist der Ort, wo inkludierende langfristige Prozesse initiiert und unterstützt werden können. Wesentlich für deren langfristige Qualität ist die wissenschaftliche Begleitung solcher Prozesse und die Gewinnung neuer Erkenntnisse im vorliegenden Forschungsbereich.

Einschlägige Begleitforschungen liefern Erkenntnisse, wie Kommunen friedensfördernd Zusammenleben gestalten können.

 

 

 

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