Abstract
Rebekka Ehret beschreibt in ihrem Beitrag die philosophisch-politischen Diskurse um Migration und Integration in der Schweiz und skizziert das Zustandekommen eines integrationspolitischen Leitbildes des Kantons Basel-Stadt bzw. liefert eine kritische Einschätzung dieser integrationspolitischen Maßnahmen. (Gesamter Artikel)
Interessant ist vor allem, warum sich kulturelle Zugehörigkeit als gültiges Erklärungsmuster für Integrationshemmnisse so hartnäckig hält. Warum wird heute das Thema wieder völlig losgelöst von diskriminierenden, strukturellen (rechtlich-politischen) Rahmenbedingungen und der Praxis der Zulassungsreglementierung von Ausländerinnen und Ausländern diskutiert? Verschiedene Studien in der Schweiz haben deutlich gezeigt, dass die meisten der sozialen Probleme, mit denen sich Ausländerinnen und Ausländer konfrontiert sehen, in direktem Zusammenhang mit den Bedingungen der Zulassungspolitik stehen (Chaudet et al. 2000). Warum hält die Praxis, nach einem kurzen Versuch des Aufbäumens gegen das kulturelle Differenzparadigma und des Plädierens für den Blick auf die soziale Ungleichheitsbehandlung am Integrationsmodell der klassischen Modernisierungstheorien fest? Die polare Sichtweise von Integration (was ein stabiles, harmonisches, sich im Gleichgewicht befindendes Sozialsystem suggeriert) und Desintegration als ein Sozialsystem, dessen Existenz gefährdet ist und das gekennzeichnet ist durch abweichendes Verhalten, Konflikte und Spannungen, zeigen die Endpunkte in einem Kontinuum an. Studien aus der Konfliktforschung zeigen, dass die Dynamik von Integration und Desintegration, also „das Prozessieren von Konflikten“ (Heitmeyer 1997) im Grunde die soziale Stabilität moderner, individualisierter Gesellschaften sichert und die Integrationskraft der Schweizer Städte faktisch weit größer ist als bisher angenommen (Wimmer/ Ehret/ Karrer/ Stienen 2000).
Aufgrund des Integrationsleitbildes gilt Basel-Stadt immer noch als „Pionierkanton“ (Wichmann und D’Amato 2010) hinsichtlich einer zukunftsweisenden Integrationspolitik; dies vielleicht nicht zuletzt darum, weil hinter dem Leitbild die kritische Auseinandersetzung mit der Frage steht, wie Gesellschaftsmitglieder diskursiv definiert werden als ‚die Anderen‘. Dass in den letzten Jahren ein Rückschritt passiert ist, liegt in der spezifischen Logik von Machterhaltung und diskursivem Ausschluss. Die kontinuierlich geschaffene Kohärenz der Ideen und Vorstellungen vom Anderen (Wolf 1999, S. 67) erlaubt es den Etablierten Status und die Vorstellung von Vorrechten der Etablierten zu behalten. Die Wahrung dieses Status wird in Perioden ökonomischer Krisen bedeutungsvoller als in entspannten Zeiträumen (Zick, Küpper und Hövermann 2011). Das Etablierten-Privileg, ausschließlich durch Blutabstammung im ‚völkischen‘ Sinne zu der vorgestellten Gemeinschaft des Nationalstaats zu gehören, lässt sich auch in Zeiten ökonomischer Krisen nicht streitig machen. In einer Zeit, in der sich selbst die sichersten Anlagen als unsicher erweisen, Durchschnittsfamilien einen höheren Steuersatz bezahlen als Millionäre und Mitverantwortliche für die Finanzkrise ihr Versagen noch vergolden lassen können, ist das eigene Blut etwas, das nicht infrage gestellt ist und auf dessen Symbolik sich konservativ-populistische Parteien mit sicherem Gespür verlassen können. Nur so lässt es sich erklären, warum mit der Verabschiedung des basel-städtischen Integrationsgesetzes im Jahre 2007 – also zehn Jahre nach der Veröffentlichung des eingangs erwähnten Regierungsprogrammes - die individualistische, emanzipatorische Sicht auf Migration wieder einer kollektivistischen, assimilatorischen gewichen ist. Nach wie vor bin ich der Auffassung, dass es eines Umgangs bedarf, der die Zugewanderten nicht kollektiviert, sondern ihnen ihren verlorengegangen Status als handelndes Subjekt und Individuum in allen Lebenslagen zurückgibt. Kollektivierung ein nahrhafter Boden, auf dem die Abgrenzung von und die Problematisierung ganzer Gruppen gedeiht, was wiederum dazu führt, dass Stereotypisierungen und Stigmatisierungen weiterhin zunehmen. In Zukunft gelte es also wieder, die Probleme der Schweizer Integrationskultur und entsprechend die Mehrheitsgesellschaft in den Fokus zu nehmen, um evidenzbasierte Maßnahmen zu entwickeln, damit das friedliche Zusammenleben längerfristig nicht gefährdet wird.
Rebekka Ehret ist Ethnologin/Sprachwissenschaftlerin, lehrte bis 2004 Interkulturelle Pädagogik sowie Angewandte Migrationsforschung an der Universität Basel und ist heute zuständig für Lehre und Forschung für den Fachbereich Migration, Integration und Transkulturalität sowie Leiterin des Masterstudienganges Managing Diversity an der Hochschule Luzern - Soziale Arbeit. (BG)