„TschetschenInnen Menschen wie wir“
Von Siegfried Stupnig
Seit zehn Jahren befasse ich mich intensiv mit der Situation in Tschetschenien und vor allem auch mit dem Befinden der nordkaukasischen Familien in Österreich. Ich treffe täglich tschetschenische Familien um mich mit ihnen auszutauschen. Die Menschen sind vor dem Krieg, der Willkür und den Todesschwadronen in ihrer Heimat geflohen. Ich habe noch keinen einzigen tschetschenischen Menschen getroffen der mir nicht von Tod und Folter in seiner Familie berichtet hat. Auch gegenwärtig geschehen in Tschetschenien schreckliche Dinge, fast niemand mehr ist in der Lage diese Vorkommnisse auch zu benennen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: der herrschende Diktator in Tschetschenien ist in viele dieser schweren Menschenrechtsverletzungen die von abartiger Folter bis zu willkürlichen Hinrichtungen reichen wohl selbst verwickelt. Ich darf Sie bitten die Augen vor den zurzeit durchgeführten Abschiebungen nicht zu verschließen. Es ist zu erwarten dass einige der abgeschobenen Menschen in Tschetschenien nicht lange überleben können.
Mir ist auch bewusst, dass (jugendliche) Tschetschenen mitunter sehr schwierig und anstrengend sein können. Diese Heranwachsenden haben als Kinder den Krieg gesehen und wurden in sehr vielen Fällen Zeuge von grausamen Misshandlungen (im schlimmsten Fall auch von Folter und Mord an den Eltern). Gerade auch in Schulen gibt es immer mal wieder Probleme mit nordkaukasischen Kindern die gegen die Regeln verstoßen. Nicht alle Schulen in Kärnten sind auf Flüchtlingskinder die in einem traumatisierten Familiensystem leben bestens vorbereitet. Manche Lehrer reagieren mit Ärger und Unverständnis wo Geduld und Einfühlungsvermögen von Nutzen wären. Ich weiß aber auch, dass es sehr viele großartige Lehrkräfte in Kärntner Schulen gibt, welche auch mit sehr schwierigen Schülern wesentlich weniger Probleme haben, als überforderte KollegInnen.
Manche Integrationsmaßnahmen für traumatisierte Asylwerber und Flüchtlingsfamilien sind möglicherweise auch falsch. Ich denke, dass gerade auch bei vielen tschetschenischen Menschen die individuelle Begleitung im Vordergrund stehen sollte. Projekte die ausschließlich die Eingliederung in die Arbeitswelt vorantreiben wollen, werden in manchen Fällen wenig sinnvoll sein. Auch wenn es unsere Leistungsgesellschaft verlangt und dies überall gefordert wird. In einigen Familien wird es notwendig sein ganz einfach die Handlungsfähigkeit wieder herzustellen.
Meine Flüchtlings- und Integrationsinitiative nenne ich "TschetschenInnen - Menschen wie wir". Damit soll auch zum Ausdruck gebracht werden, dass die Volksgruppe der Tschetschenen ebenso unhomogen ist, wie etwa auch die Österreicher von unterschiedlichsten Einstellungen geprägt sind. Die Haltungen in politischen, religiösen und allen gesellschaftlichen Fragen unterscheiden sich bei den in Kärnten/Österreich lebenden Tschetschenen oftmals ganz wesentlich. Der Großteil der tschetschenischen Menschen - und damit unterscheiden sich die Tschetschenen weder von Österreichern noch von anderen Nationalitäten - will in Frieden leben und achtet die Gesetze.
Meinen tschetschenischen Freunden danke ich für das Vertrauen, für ihre Aufrichtigkeit, für ihre herzhafte und niemals aufdringliche Freundlichkeit sowie für ihren unbändigen Stolz und die großzügigste aller Gastfreundschaften.
Mag. Siegfried Stupnig, 16.1.1967. Seit 2003 ehrenamtliche Arbeit mit tschetschenischen Flüchtlingen in Kärnten/Österreich. Mitarbeit beim Verein ASPIS in Klagenfurt als Traumapsychologe und Sozialarbeiter für tschetschenische Familien www.aspis.at
Aktuelles Projekt: „TschetschenInnen Menschen wie wir“ (Sportprojekte: FC Tschetschenien (Klagenfurt), Infos zur Situation von tschetschenischen Familien; Lern- und Sozialbetreuung für tschetschenische SchülerInnen) u.v.m.