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SANCHEZ LOTERO Adriana, 42: Die promovierte Physikerin aus Kolumbien lebt und arbeitet seit einigen Jahren mit ihrem deutschen Mann in Villach. Aus ihren Erfahrungen als Drittstaaten-Angehörige in drei EU-Ländern (Italien, Deutschland, Österreich) erstaunt sie insbesondere, dass es keine EU-einheitlichen Prozesse für die Zuwanderung gibt.  

Ich stamme aus Südamerika, genauer gesagt aus Bogotà, der Hauptstadt von Kolumbien. Dort wuchs ich auf, ging auf eine öffentliche Schule und studierte Physik an der Universidad Nacional de Colombia. Dort aufgenommen zu werden war für mich eine große Chance, zum einen wegen der hohen Auslese - in meinem Jahrgang wurden nur 60 Physik-Studenten zugelassen, von denen nur 3 graduierten - und zum anderen weil nur symbolische Studiengebühren erhoben werden. Meine Familie hätte mir ansonsten keine Universitätsausbildung finanzieren können.  

Nach Abschluss des Physikstudiums und Masterstudiums ging ich nach Italien. Das war 1999. Das International Center of Theoretical Physics in Triest bietet besonders guten Absolventen aus Entwicklungsländern Stipendien für ein Diplom Programm in Physik oder Mathematik. Für die anschließende Doktorarbeit bin ich nach Deutschland gegangen, wo ich in Dresden an einem Max-Planck-Institut geforscht habe. Danach - so war mein ursprünglicher Plan - wollte ich wieder zurück in meine Heimat Kolumbien.  

Doch dann lernt ich am Institut diesen charmanten, jungen deutschen Physiker kennen und das änderte meine bisherigen Pläne: Ich machte mich also nach Erlangen des PhD in Dresden auf Arbeitssuche. Schon nach kurzer Zeit fand ich als Physikerin eine Beschäftigung in einer großen Firma, zunächst als Werkstudentin, einige Wochen später schließlich mit einer Festanstellung. Im folgenden Jahr heirateten der charmante, junge deutsche Physiker und ich. Damals wurde mein Aufenthaltstitel in 'Familienangehörige' umgeändert, was mich ehrlich gesagt verwunderte, weil ich ja nach wie vor arbeitete und ich mich trotz meiner Ehe als eigenständiges Individuum wahrnehme.  

Alles sah rosig aus, bis 2009 mein Arbeitgeber Pleite machte und alle 3.000 Mitarbeiter ihren Job verloren. Zeitgleich verlor mein Mann seine Anstellung. Es war die Zeit der Wirtschaftskrise und unsere Arbeitssuche gestaltete sich entsprechend schwierig. Ich hatte zwar eine Reihe von Vorstellungsgesprächen, bekam aber nur Absagen.  

Diese Phase meines Lebens nutzte ich um intensiv Deutsch zu lernen. Deutsch hatte ich bis dato wenig gebraucht. In der Forschung ist die Arbeitssprache nun mal Englisch und auch mit meinem deutschen Mann war die gemeinsame Sprache Englisch. Bei meinem Arbeitgeber in Dresden hatte ich an Deutsch-Kursen teilgenommen und mehr recht als schlecht die B1-Prüfung abgelegt. Doch auch da war Englisch die inoffizielle Arbeitssprache. Bei der Jobsuche war mir nun aber klar geworden, wie wichtig es ist gut Deutsch zu können, wenn man im deutschsprachigen Raum arbeiten will.  

Nach über einem halben Jahr des Suchens erhielt ich endlich ein Arbeitsangebot, allerdings nicht in Deutschland, sondern in Österreich. Die einzige Auflage der Firma lautete, dass mein Mann mit mir umziehen musste. Der Titel 'Familienangehörige' eines EU-Bürgers hatte sich - welche Ironie des Schicksals - plötzlich zu meinem Ass gewandelt, mit dessen Hilfe mich die Firma ohne Schlüsselkraft-Verfahren einstellen konnte! Bald danach fand auch mein Mann hier eine Arbeit.  

Mittlerweile haben meinen Mann und ich uns sehr gut in Villach eingelebt. Wir schätzen die kurzen Wege innerhalb der Stadt und die Nähe zu Italien und Slowenien. Wir mögen die Berge und die Seen. Der Alpe-Adria-Raum bietet so viele Möglichkeiten, es wird uns wirklich nie langweilig.  

Besonders froh aber bin ich über die derzeitige Stabilität in meinem Leben. Wenn man wie ich aus einem Drittstaat in die EU kommt, lebt man mit vielen Unsicherheiten: Man muss sich eingewöhnen an andere Lebensverhältnisse, eine andere Sprache, eine andere Kultur. Man kennt die örtlichen Ausländer-Gesetze nicht im Einzelnen und versucht sich daher besonders regelkonform zu verhalten.  

Hinzu kommt ein permanenter existenzieller Druck: Was passiert, wenn mein Stipendium in Italien ausläuft und ich nicht sofort im Anschluss eine Doktorandenstelle finde? Oder während des Doktorats in Deutschland, da hatte ich erst ein Arbeitsvisum für zwei Jahre, aber die folgenden Visen waren immer nur auf sechs Monate befristet und mussten stets neu beantragt werden. Die befristete Aufenthaltsgenehmigung für die Zeit zwischen dem Doktorat und meiner ersten Anstellung musste ich mit Hilfe einer Verpflichtungserklärung überbrücken, in der ich unter anderem nachweisen musste, dass ich finanzielle Rücklagen habe und dem Staat Deutschland nicht zur Last fallen werde.  

An den Erfahrungen, die ich als Drittstaaten-Angehörige in drei EU-Mitgliedsstaaten (Italien, Deutschland, Österreich) gemacht habe, erstaunt mich vor allem, dass es keine EU-einheitlichen Prozesse für die Zuwanderung gibt; weder zwischen den einzelnen EU-Staaten, noch innerhalb der Bundesländer eines EU-Staates. Da sehe ich einen großen Harmonisierungs-Bedarf. Auch in der Handhabung, ob in gemischten Ehen (EU-Bürger mit Drittstaaten-Ehepartner), beide Ehepartner und deren gemeinsame Kinder gesetzlich gleich behandelt werden.  

Meine größte Einschränkung - wenn man davon so sprechen kann - erlebe ich bei der Urlaubsplanung: Wir können nicht spontan entscheiden, sondern müssen von langer Hand planen, weil ich als Kolumbianerin mit anderen Visum-Modalitäten zu tun habe als mein deutscher Mann. Eine Einbürgerung, ein deutscher Pass, würde das schon vereinfachen. Aber da bin ich mit dem Herzen noch zu sehr Kolumbianerin!                                                                                                   27.12.2013

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