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Jede(r) Migrant(in) kennt die Frage: Wie fühlen Sie sich – als ÖsterreicherIn oder (in meinem Fall) als Bosnier(in)? Ich möchte mich hier nicht nur auf meine Geschichte beziehen, denn ich bin nur eine von vielen. Ich möchte über Menschen schreiben, die sich mit den Fragen über ihre Identität immer wieder konfrontieren müssen. Es würde zu weit führen ins Detail meiner persönlichen Geschichte zu gehen. Man darf nicht vergessen, dass sich manchmal ganze Nationen, und nicht nur Individuen auf der Suche nach ihrer Identitäten befinden. Zu Hause in Bosnien lebte ich in einer Strasse gemeinsam mit Katholiken, Muslimen, Orthodoxen, Juden, Slovaken, Ukrainer, und heute weiß ich, dass jeder einzelne Mensch, jede einzelne Nachbarsfamilie meine Identität mitgestaltet hat. Heute bin ich reicher denn je, und jeder Gedanke an diese Zeiten erfühlt mich mit Zufriedenheit.

Wenn man sich dabei die heutige bosnische Identität vorstellt, kann ich nur sagen, dass mich der Gedanke unglücklich macht, dass die gegenseitige Akzeptanz großteils verlorengegangen ist. Man kann unsere gemeinsame Geschichte unterschiedlich interpretieren und das tun heute viele. Identität ist nicht die Zugehörigkeit einer Religion, einer Nation, unsere sozialen Kompetenzen hängen stark von unserer Bereitschaft  ab, einen Blick hinter die Grenze zu werfen.  Wir selbst setzen unsere Grenzen, keine Politik, keine Institutionen der Macht und es gibt nichts auf dieser Welt, was den Geist eines freien Menschen fesseln konnte. Die Grundvoraussetzung sich als freier Mensch zu entwickeln, ist ein gutes Schulsystem, das den jungen Generationen den notwendigen Impuls gibt um Interesse zu wecken, sich mit der Exzistenz des Anderen auseinanderzusetzen.

Meine Identität ähnelt einem Mosaik, der sich langsam herausgebildet hat.
Ich hatte keinen Einfluss darauf, in welchem Land ich einst landen werde. Ich war unter tausenden Menschen, die ihre Stadt wegen Krieg und Vertreibung verlassen mussten. Als sich die Situation zuspitzte kamen internationale Hilfsorganisationen, setzten uns in Züge, welche uns dann nach Österreich beförderten. Nichts machte mich in diesen ersten Monaten glücklich, außer Gedanke, dass die Rückkehr nach Hause irgendwie doch möglich wäre. Über zwei Jahre verbrachte ich in verschiedenen Flüchtlingsheimen, bis es schliesslich klar war, dass die Rückkehr nicht möglich ist. Ich musste von neu anfangen, plötzlich stand ich allein mit dem Gedanke, dass mein Leben der Vergangenheit  gehörte und ohne zu wissen, was auf mich zukommt. Heute weiß ich, eine Chance zu bekommen um neues Leben aufzubauen bedeutet dasselbe wie zweimal geboren zu werden. Dafür bin ich Österreich sehr dankbar. Auf der anderen Seite ist das Leben eines Imigranten alles andere als einfach, man muss sich ständig beweisen und das hört nie auf, selbst dann nicht, wenn man die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Die rechtliche Lage bessert sich, man hat gewisse Sicherheit, aber Vorurteile bleiben.  Vieles was man sich einst als ein normales Leben vorstellte, verwandelt sich in einen unerfüllten Traum.

Als MigrantIn bemerkt man einen Unterschied zwischen Österreichern die Ex-Jugoslawien vor dem Krieg besuchten, und denen die das nicht taten.
Diejenigen, für die Jugoslawien kein fremdes Land war, hatten weniger Vorurteile gegenüber den Migranten und waren offener aufgrund ihrer positiven Erinnerung an die Gastfreundschaft und Gelassenheit, die sie bei uns erlebt hatten.
Meiner Meinung nach sollte jeder Migrant der deutschen Sprache mächtig sein, um Akzeptanz zu erlangen. Nur durch einen direkten Dialog, können sich Österreicher und Migranten näher kommen und anfangen einander zu respektieren. Dabei ist es wichtig seine eigene Muttersprache nicht zu vergessen. Als jemand, der sich in den letzten Jahren intensiv mit Sprachen beschäftigt, kann ich nur sagen – es geht nicht darum, dass wir alle dieselbe Sprache sprechen, sondern dass jeder etwas von der Sprache des Anderen lernt. Von anderen Kulturen und Völkern kann man immer etwas lernen. Die moderne Lebensweise setzt die Mobilität voraus. Wir können diese nicht aufhalten und ein gemeinsames Europa aufbauen, ohne dabei in Kontakt zu kommen. Die Regeln sind einfach, um sich weiter zu entwickeln müssen wir das Unbekannte erforschen, alles ist ein Lernprozess und genauso ist es auch mit unseren  kulturellen  Fortschritten. Die großen Zivilisationen, deren Nachfolger wir sind, waren nicht groß weil sie viele fremde Territorien eroberten, sondern weil es ihnen gelang aus dieser Vielfallt der Kulturen neue und unvergängliche Werte für die Menschheit zu schaffen und diese an uns weiter zu geben.

Amela Šukalo, geboren in Bosnien und Herzegowina. Seit 1992 in Österreich.

Beruf: Juristin und Slawistin. 

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