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Aus der REIHE MIGRATIONSGESCHICHTEN von Birgit Stegbauer  (mehr InterviewpartnerInnen)

Hamzat AMAEV, 48: Der nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannte Flüchtling verließ Tschetschenien während des 2. Tschetschenienkrieges. Mit seiner Familie hat er in Österreich Ruhe und Sicherheit gefunden. Jede Nacht träumt er davon eines Tages in seine befreite Heimat zurückkehren zu können.

 

Meine Heimat Tschetschenien ist ein Land, das Frieden kaum kennt. Seit Jahrhunderten kämpfen wir Tschetschenen um unsere Unabhängigkeit, unser Land ist getränkt vom Blut vieler Generationen. Ich selbst bin 1965 geboren, zu einer Zeit, als Tschetschenien eine Teilrepublik der riesigen Sowjetunion war. Das Dorf Samaschke, aus dem ich stamme, ist 30 km von unserer Hauptstadt Grosny entfernt in den Bergen. Doch wir sind noch in meinem Geburtsjahr nach Urus-Martan umgezogen, das ist die drittgrößte Stadt von Tschetschenien.

 

Dort bin ich zur Schule gegangen, habe erst eine Ausbildung als Maurer gemacht, danach Pharmazie studiert in Pyatigorsk. Zwei Jahre musste ich in der russischen Armee meinen Militärdienst ableisten, das war Pflicht für alle jungen Männer in der SU und ich war weit weg von meiner Heimat. Dann bin ich nach Hause gekommen, habe gearbeitet und geheiratet.

 

Anfang der 90er Jahre zerfiel die Sowjetunion und wir Tschetschenen riefen 1991 unsere eigene Republik aus, die Tschetschenische Republik Itschkeria. Unser Kampf gegen die Russen begann 1994 und im ersten Tschetschenien-Krieg (1994-1996) haben 70% der Männer unseres Volkes gekämpft, so auch ich. Wir haben die Russen aus unserem Land zurückgedrängt, doch die Verluste waren hoch. Es starben allein 42.000 tschetschenische Kinder!

 

Nach drei Jahren Pause griffen uns die Russen wieder an, das war der Anfang des 2. Tschetschenienkrieges. Die Russen haben Tschetschenien zurückerobert und seither ist unser Land eine Autonome Republik in Russland. Aber unser Volk erkennt das nicht an und der 2. Tschetschenien-Krieg hat nie wirklich geendet. Im 2. Krieg habe ich nicht gekämpft, doch dann wurde ich von den Russen eineinhalb Monate inhaftiert, weil ich im ersten Krieg auf der Seite meines Volkes gekämpft hatte. Danach hielt ich mich versteckt.

 

Russland verzeiht nicht, deswegen hatte ich große Sorge um meine Familie, meine Kinder. Ich wollte sie in Sicherheit bringen. Da es für uns unmöglich war auf legalem Wege nach Westeuropa auszureisen, sind wir über Weissrussland nach Polen und von dort aus erst nach Tschechien und von dort über die grüne Grenze nach Österreich. Ich habe alles selbst organisiert, ohne Schlepper, die nur die Unwissenheit der Leute ausnutzen. Aber selbst so waren zu diesem Zeitpunkt alle unsere Ersparnisse aufgebraucht.

 

In Österreich haben wir uns in den ersten Zug gesetzt und dem Schaffner gesagt: Wir sind Asylanten. Wir brauchen Asyl. So kamen wir erst ins Asyl-Erstaufnahmezentrum Traiskirchen und von dort nach Kärnten. Das Leben als Asylwerber war die schlimmste Zeit in meinem Leben, man ist den Pensionsbesitzern so ausgeliefert. Wenn jemand bis dahin mit Würde und Prinzipien gelebt hat, ist das furchtbar schwer zu ertragen; ich vergleiche dieses Dasein mit dem eines Haustiers.

 

Gut waren die Pensionen, in denen wir selbst für unser Essen zuständig waren. Aber dort, wo für uns gekocht wurde, gab es Produkte, die abgelaufen waren und vor allem viel Schwein. Das konnten wir nicht essen, denn wir sind Muslime. Wir kommen aus einem Land mit anderen Gebräuchen, wenn unsere Wohnräume mit Schuhen betreten werden oder mit einem Hund, dann ist das eine Katastrophe, weil alles unrein wird und vor dem nächsten Gebet geputzt und gereingt werden muss. Das akzeptierte nicht jeder Pensionsbesitzer.

 

Doch ich will erzählen, dass es auch in dieser Zeit Lichtblicke gab: Eine ältere Dame, die wir in Klagenfurt nach dem Weg fragten, hat alles Menschenmögliche für uns gemacht und ist im Laufe der Zeit für die Kinder zu einer Oma geworden. Sie hat von uns immer nur ein 'Danke' bekommen können. Ihr uneigennütziges Handeln werde ich mein Lebtag nicht vergessen.

 

Nach drei Jahren als Asylwerber haben wir einen positiven Bescheid bekommen, seither leben wir als anerkannte Flüchtlinge in Villach. Leider nicht anerkannt wurde mein Pharmaziestudium, ich müsste hier nochmal studieren und da kann ich nicht gleichzeitig meine Familie ernähren. Ich habe schon als Autohändler gearbeitet, als Security. Nur in Putzkolonnen, das geht nicht, denn wir sind ein Kriegervolk.

 

Ich bin Obmann der Tschetschenen in Kärnten. Unser Verein heißt MARSCHO, das ist Tschetschenisch für FREIHEIT. Könnte ich mir etwas wünschen, das die Situation aller Tschetschenen hier verbessern könnte, dann wäre das die Verhinderung von Ghettobildungen: Statt alle tschetschenischen Kinder in einer Klasse zu konzentrieren, sollten die Klassen durchmischt werden. Statt lauter (tschetschenische) Großfamilien in einem Wohnblock unterzubringen, sollte man Wohnraum dezentraler anbieten.

 

Österreich ist das schönste Land, das ich kenne und sehr ähnlich zu meiner Heimat Tschetschenien: Auch wir haben 70% Gebirge, die gleiche Landschaft, das gleiche Klima. Doch auch wenn das hier ein Eldorado für mich ist und ich für dieses Land nur Dankbarkeit übrig habe: Österreich ist nicht mein Land, nicht meine Heimat. Ich respektiere die Republik Österreich, die Regierung, das Volk, die Gesetze; ich lerne Deutsch, ich arbeite. Das bedeutet für mich Integration. Aber ich will mich nicht assimilieren. Ich bin als Tschetschene geboren und als solcher möchte ich sterben.

 

 

 

23.08.2013

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