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Aus der REIHE MIGRATIONSGESCHICHTEN von Birgit Stegbauer  (mehr InterviewpartnerInnen)

Nana und Eugen KENDER, 42 und 47: Nach dem Sturz des Kommunismus engagierten sich die gebürtigen Rumänen zunächst für den Aufbau der Demokratie in Rumänien. 1994 konnten die beiden IT-Spezialisten auf Grund des Schlüsselkräfte-Verfahrens von Rumänien nach Kanada einwandern. Jahre später kehrten sie als kanadische Staatsbürger nach Europa zurück. Im Umgang mit den in Österreich dringend benötigten Fachkräften erkennen sie Adaptionsbedarf.

Unsere Einwanderung ist eine Geschichte in Etappen. Wir stammen aus Rumänien, Temeswar/Timişoara, Nana aus einer rein rumänischen Familie, Eugen aus einer ethnisch ungarisch-deutschen Familie. Aufgewachsen sind wir zur Zeit der kommunistischen Herrschaft von Nicolae Ceauşescu und unsere Familien haben uns von früh an sensibilisiert für Menschenrechtsfragen. Das schlimmste am Kommunismus war diese bürokratische Mentalität, die den Menschen nicht als Individuum wahrnimmt, die Menschenwürde nicht wahrt.

Bei der Revolution von 1989 waren wir auf der Straße und getragen von der Hoffnung in unserer Heimat eine Demokratie mitaufzubauen. Aber nach wie vor herrschte so eine furchtbare Armut in Rumänien, die Infrastrukturen, z. B. in der medizinischen Versorgung, waren unvorstellbar; die Lebensbedingungen waren nicht menschlich; die politischen Veränderungen, für welche Menschen gestorben waren, fanden nicht statt, es wurden nur die Posten ausgetauscht.

Daher stellten wir schon etwa ein Jahr später einen Einwanderungsantrag nach Deutschland, (weil Eugen deutschstämmig ist) und als wir unser erstes Kind erwarteten und Deutschland wegen der großen Einwanderungswellen aus Osteuropa zu lange brauchte, auch einen Einwanderungsantrag nach Kanada. Unser erstes Kind wurde noch in Rumänien geboren.

Schließlich erhielten wir von Kanada einen positiven Bescheid und wanderten 1994 aus. Kanada hatte und hat immer noch spezielle Quoten für Schlüsselkräfte und IT-Spezialisten waren seinerzeit gefragt, vor allem wenn sie wie Eugen schon Berufserfahrung hatten. Wir lebten in Vancouver; die Gegend war landschaftlich ein Traum, es ging uns gut, Nana studierte weiter und wir bekamen ein zweites Kind. Was wir am meisten in Kanada bewunderten, war der respektvolle Umgang miteinander, das lernt man schon von klein auf. Nach drei Jahren beantragten wir die kanadische Staatsbürgerschaft und erhielten diese auch. Aber das (bis auf den Sommer) nebelige, regnerische Wetter setzte besonders Eugen auf Dauer zu.

Als Nana ein Angebot von Siemens/Infineon aus Kärnten erhielt, war das eine Kompromisslösung für uns, der wir ein paar Jahre eine Chance geben wollten und nun leben wir schon über ein Jahrzehnt in Villach. Aber um das klarzustellen: Als Rumänen hätten wir nicht nach Europa auswandern wollen, denn mit der rumänischen Staatsbürgerschaft bist du in Europa ein Untermensch; mit der kanadischen hingegen bist du eine Art Übermensch. Obwohl wir durchaus in Gesprächen über unsere Herkunft spüren, dass wir natürlich auch als Rumänen gelten, da können wir zehn kanadische Pässe haben!

Die Firma hat uns beim Umsiedeln die ganzen Formalitäten und bürokratischen Gänge abgenommen, uns bei der Wohnungssuche geholfen. Das war nicht nur sehr praktisch, es hat uns auch über den ersten Kulturschock geholfen. Darüber sind wir sehr dankbar und in dieser Hinsicht haben wir nur Bewunderung.

Denn als Eugen eine Arbeit suchte, erfuhren wir, welche Hürden Firmen mit dem Schlüsselkraftverfahren überwinden müssen, wenn sie ausländische Kräfte einstellen wollen: Sie müssen nachweisen, warum mit der Anstellung eines Ausländers keinem Inländer ein Arbeitsplatz weggenommen wird und müssen sich auf lange Wartezeiten (und hohe Kosten) einstellen, bis die Behörden eine Arbeitsgenehmigung erteilen.

Eine Anomalie zu den Aufenthaltstiteln möchten wir nicht unerwähnt lassen: Als unser Nachzügler in Kärnten zur Welt kam, hatten wir alle eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis - bis auf das Neugeborene, für das wir fünf Jahre lang den Aufenthaltstitel jährlich neu beantragen mussten. Dabei sollte man doch annehmen, dass der Aufenthaltstitel der Familie auch auf das Neugeborene angewandt wird, oder? Alles andere ist entweder unmenschlich oder aber als einfache Formalität nur schwer nachvollziehbar/begründbar, da sie mit hohem Aufwand und Kosten verbunden ist.

Andererseits haben wir eine ultra-positive Erfahrung mit den österreichischen Behörden gehabt, als wir ein schwerbehindertes Baby aus Rumänien bei uns aufnahmen und für dieses eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erwirken konnten. Bis es soweit war mussten wir sehr viele Behördenwege, Briefe und auch einen Hausbesuch hinsichtlich unserer Tauglichkeit als Pflegeeltern auf uns nehmen. Dann aber wurden alle medizinischen Kosten für das Baby getragen, und das war nicht wenig, denn die Eingriffe waren aufwendig und von langjährigen Therapien begleitet. Dem Jungen, der mit seiner Familie mittlerweile in Kanada lebt, wurde damit zu einem halbwegs normalen Leben verholfen. Die erste und konkrete Hilfe aber bekamen Mutter und Kind in Österreich.

Wir sind der Meinung, dass die Gesetze dringend angepasst werden müssten. Bisher waren sie so ausgelegt, dass Österreich sich vor ungewollten Einwanderern schützen konnte. Die Signale aus der Wirtschaft gehen seit vielen Jahren alle in die Richtung, dass Österreich auf Grund der Entwicklungen in Technologie und Wirtschaft von Schlüsselkräften nur profitieren kann, wenn nicht sogar darauf angewiesen ist. In der Gesetzgebung herrscht da unserer Meinung nach ein Adaptionsbedarf.

Gewisse Veränderungen in der Einstellung Fremden gegenüber haben wir über die Jahre als sehr positiv registriert, etwa, dass mit den Antragstellern für Aufenthaltstitel sensibler umgegangen wird, seit diese Aufgabe von der Fremdenpolizei auf das Magistrat übertragen wurde. Dass mehr und mehr Informationen und Unterlagen mehrsprachig zur Verfügung gestellt werden, z. B. in den Krankenhäusern. Viel Potential erkennen wir in der Bildungspolitik, dort sollte schon vom Kindergarten an eine Erziehung im Sinne der Offenheit erfolgen, um Vorurteilen zu begegnen. Denn so wie du Respekt haben musst vor der Kultur, zu der du selbst zuziehst (oft, weil dir kein anderer Ausweg bleibt!), so sollte auch deiner eigenen Kultur Respekt entgegen gebracht werden. Damit sich niemand mehr daran stört, wenn im Nachbargarten eine andere Sprache als die Landessprache gesprochen wird.

Auch wenn uns die Natur und das Klima hier ganz besonders behagen, so ganz ist Österreich noch nicht unsere Heimat geworden. Das hat mit dem hiesigen Kulturalismus zu tun: Da waren in jüngster Zeit zwei Gelegenheiten, bei denen wir gedacht haben, dass es eine Erfüllung ist, was zu tun, dass gesellschaftliches Engagement was bringt. Beide Male haben wir in einem schmerzhaften Prozess gelernt, dass hierzulande die Kultur anders ist: Man darf nicht konkret auf Probleme hinweisen und statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wird alles im Hinterzimmer besprochen; fast scheint es, dass der Wunsch nach Lösungen verschwindet vor der riesigen und für uns unverständlichen Angst vor Veränderungen.

Der Grund aber, dass wir die kanadische Staatsbürgerschaft nicht aufgegeben wollen, ist auch sentimentaler Natur: das Leben in Rumänien bleibt in unserer Erinnerung wie ein Leben lang in einem Gefängnis – erst in Kanada haben wir wirklich zu leben angefangen.

23.05.2013 und 05.08.2013

 

 

 

 

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