Projekte   Plattform-Projekte   MIGRATIONSGESCHICHTEN  MOTTAHEDEH Manutschehr

Aus der REIHE MIGRATIONSGESCHICHTEN von Birgit Stegbauer  (mehr InterviewpartnerInnen)

Manutschehr MOTTAHEDEH, 75: Als sich 1979, zu Beginn der Islamischen Revolution im Iran, eine zunehmende Verfolgung der religiösen Minderheiten abzeichnete, suchte der persich-stämmige Österreicher mit seiner Familie Schutz in Österreich. Kein Wunder, dass der Architekt für eine Trennung von Religion und Staat eintritt.

In meiner ersten Heimat Persien war es angesehener im Ausland zu studieren. Deswegen zog ich 1959 von meiner Geburtsstadt Teheran nach Wien, wo ich ein Jahr Maschinenbau und Elektrotechnik studiert habe, aber das war nichts für mich. Ich habe mich dann der Architektur zugewandt und da habe ich im Studium sehr viel Erfolg gehabt. Meine Eltern haben mich finanziell unterstützt und ich habe zwischendurch bei Architekten gearbeitet, in Österreich und in Deutschland, da habe ich sehr viel gelernt in der Praxis. In Wien habe ich meine Gattin kennengelernt und dort ist auch unsere erste Tochter geboren.

Wir sind dann 1969 zusammen nach Persien gegangen. Ich habe als selbständiger Architekt zwei Architekturbüros in Teheran gegründet und hatte soviele Aufträge, unter anderem für Städtebau und Satellitenstädte, dass ich Kollegen in Österreich, Amerika und Persien anschrieb und sie fragte, ob sie nicht mit mir arbeiten wollten. Persien machte in jenen Jahren eine rasche und große Entwicklung, in jede Richtung. Dann wollten die Studenten und Intellektuellen mit Hilfe der Religiösen eine Demokratie aufbauen, aber da ist eine falsche Revolution herausgekommen.

Ich bin Bahai* und als solcher bin ich im Jahr 1979 wegen der Intoleranz gegenüber den Bahai-Prinzipien** mehr und mehr verfolgt worden, mein Leben und das meiner Familie war zunehmend gefährdet. Auch wollte ich nicht, dass meine drei Töchter in diesen Schulen aufwachsen, denn es war klar, die Rechte von Frauen werden bald weg sein. So sind wir vorläufig aus Persien ausgewandert, aber eigentlich war die religiöse Verfolgung der Grund. Wir sind also wieder nach Österreich.

Ich hatte vor in Wien ein Architekturbüro zu eröffnen, nur wegen der damaligen Baukrise ist daraus nichts geworden. Dann habe ich auch kurzfristig für Architekten in Österreich gearbeitet. Inzwischen kam ein Angebot von einem Freund aus Graz, der eine Firma für Import gegründet hatte, dass wir gemeinsam eine Filiale in Villach eröffnen könnten. So haben wir das auch gemacht und so habe ich in diesen Beruf des Teppichhändlers gewechselt. Im Jahr 2000 habe ich schließlich eine Technologie-Firma gegründet und zeitweise 7-8 Mitarbeiter beschäftigt. Inzwischen bin ich in Pension und bin wieder zurückgekommen zum Handel.

Wenn ich die Stimmung in Wien während meines Studiums und nach 1979 vergleiche, da hat sich sehr viel verändert, nicht nur materiell: 1959 waren nur wenige Jahre vergangen seit die Alliierten aus Österreich abgezogen waren, die Ausländerabneigung war damals mehr. Als ich 1979 zurückgekommen bin, war das schon anders: Materiell hatte sich vieles verändert und die Internationalisierung und Globalisierung fing gerade an.

Da ich damals gedacht habe: Wir fliegen wieder nach Persien und die Situation dort ändert sich, habe ich die Staatsbürgerschaft nicht sofort beantragt (meine Gattin ist Österreicherin und unsere drei Töchter haben die österreichische Staatsbürgerschaft kurz nach unserer Ankunft in Wien erhalten). Später ist mein erstes Ansuchen abgelehnt worden, wegen fehlender Aufenthaltszeiten. 1981 habe ich einen zweiten Versuch gemacht und mit Unterstützung von Herrn Ing. Mörtl, der seinerzeit Bürgermeister von Villach war, habe ich schließlich die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Österreich ist schon lange meine zweite Heimat geworden.

In Österreich sehe ich das sehr positiv, dass jeder seine Gedanken frei äußern kann, ob das politisch, religiös oder anders ist, das ist faszinierend. Denn Demokratie, Liberalität, liberale Gedankenweise sind für mich sehr wichtig. Auch, dass es in Österreich eine Trennung zwischen Religion und Politik gibt. Überall auf der Welt sollten säkulare Regierungen zustande kommen.

Mich begeistert dieser Gedanke von der Europäischen Union, weil sie Europa befriedet hat. Für mich als Bahai ist die EU ein kleines Modell für den großen Weltfrieden. Denn wir Bahai glauben, dass die Erde ein Land ist und alle Menschen auf der Erde Bürger dieses Landes sind. Auch glauben wir, dass diese Einheit eine Einheit in Mannigfaltigkeit sein muss.

Nationalismen sollten überwunden werden. Deswegen ist es meiner Meinung nach auch nicht richtig, dass in den Medien das Land oder die Nationaltät von Jemandem, der etwas Falsches begangen hat, so explizit erwähnt wird. Da sollte nicht unbedingt geschrieben werden: "Ein Fremder ist in Villach in 2 Häuser eingebrochen", sondern "In Villach wurde in 2 Häuser eingebrochen".

Statt dessen sollte dieser Bahai-Gedanke der 'Einheit in Mannigfaltigkeit' den Kindern schon in den Schulen nahe gebracht werden. Es sollte sogar ein neuer Lehrgegenstand kommen über Internationalität und globale Gedankenweise. Dass die Nationalität oder eine andere religiöse Mitgliedschaft nicht etwas Fremdes oder Anderes ist, sondern dass ich davon vielleicht etwas Besseres lernen kann als das, was ich habe.

29.05.2013

Anm. d. Red.:

*Die Bahai-Religion ist die jüngste Weltreligion. Weltweit leben 5-8 Millionen registrierte Mitglieder in 235 Ländern, somit ist die Bahai-Religion nach dem Christentum die geographisch am weitesten verbreitete Religion. Die Religion hat ihren Ursprung in Persien, wo sie Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts vom Religionsstifter Baha'ullah begründet wurde (Quelle: Encyclopedia Britannica). Im Iran bilden die Bahai mit etwa 300.000 Mitgliedern die größte religiöse Minderheit, sind aber starken Verfolgungen ausgesetzt. In Österreich leben derzeit Bahai in über 180 Orten, es gibt 19 lokale Geistige Räte und einen Nationalen Geistigen Rat.

**Gleiche Rechte für Mann und Frau; Einheit der Menschheit in Mannigfaltigkeit; die Überwindung aller Vorurteile religiöser, sozialer, rassistischer oder nationaler Art; die allgemeine Einführung einer Welthilfssprache neben der Muttersprache; die Abschaffung von übermäßigem Reichtum und Armut; die Übereinstimmung von Religion und Wissenschaft; die Bildung eines Weltbundesstaates und eines mit bindender Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Weltgerichtshofes; die Schaffung des großen Weltfriedens.

Nach oben