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Aus der REIHE MIGRATIONSGESCHICHTEN von Birgit Stegbauer  (mehr InterviewpartnerInnen)

NAGY Hajnalka 32: Ihr Interesse an der österreichischen Literatur hat die Ungarin schon während des Studiums nach Österreich geführt. Mittlerweile lehrt sie Deutschdidaktik an der Universität Klagenfurt. Wenn überhaupt, sieht sie sich als Bildungs-Migrantin.

Ich bin in Ungarn geboren und aufgewachsen. Nach der Schule habe ich an der Universität Szeged, das ist im Südosten Ungarns, Romanistik und Germanistik studiert. Im PhD-Studium habe ich mich schließlich auf die neuere österreichische Literatur spezialisiert und mich zu Forschungszwecken mehrmals an deutschen und österreichischen Universitäten aufgehalten. 2009 wurde ich schließlich an der Universität Szeged mit einer Arbeit über Ingeborg Bachmann promoviert.

Die Suche nach einem festen Job im wissenschaftlichen Bereich war schwierig und hat ein gutes Jahr gedauert. Aber letzten Endes waren es neben beruflichen auch familiäre Gründe, weshalb ich nach Österreich gezogen bin: Mein Partner lebt zwar in Wien, stammt jedoch aus der Slowakei und ich bin aus Ungarn, da ist Österreich für uns so etwas wie ein neutraler Drittstaat.

Anfangs bin ich viel gependelt: Ich hatte einen Lehrauftrag an der Universität Salzburg und gleichzeitig eine Assistenten-Stelle an der Universität Pécs, in Süd-Ungarn. Ich war daher sehr glücklich, als ich 2010 eine volle Stelle als Senior Scientist am Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik der Universität Klagenfurt bekommen habe. Meine österreichischen Professoren und KollegInnen haben mir auch sehr geholfen, mich im wissenschaftlichen Bereich in Österreich zu behaupten.

Am schwersten war es auf privater Ebene hier "Wurzeln" zu fassen, Freunde zu finden und ein neues "Zuhause" zu etablieren. Mir hat die Arbeit sehr geholfen, die anfängliche Einsamkeit aufzubrechen. Inzwischen habe ich auch gute Freunde gefunden. Ein richtiges Zuhause hat man aber nicht: Weder im Heimatland, noch in Österreich, es fehlt immer eine Hälfte.

Diese Zerrissenheit kann man auch in der Sprachverwendung beobachten: Ich kann zwar beide Sprachen auseinanderhalten, aber zum Deutschen habe ich nicht denselben emotionalen Zugang als zum Ungarischen. Und leider fällt es mir zunehmend schwerer mich auf Ungarisch schön und präzise auszudrücken, was für mich wirklich - schon aus beruflichen Gründen - sehr wichtig ist.

Mein Deutsch war von Anfang an schon fast auf muttersprachlichem Niveau, ganz selten werde ich aufmerksam gemacht, dass ich nicht ganz akzentfrei Deutsch spreche. Deshalb kann zu Beginn eines Semesters bei den StudentInnen Ressentiments gegenüber der Tatsache entstehen, dass ich als Nicht-Muttersprachlerin gerade im Bereich der Deutschdidaktik arbeite. Das baut sich innerhalb kürzester Zeit ab, wäre aber zu keinem Zeitpunkt ein Problem, wenn ich zum Beispiel naturwissenschaftliche Fächer unterrichten würde. Es wird an die GermanistInnen zu Recht ein besonderer Anspruch erhoben.

Rassismus habe ich nicht erlebt, das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass mein soziales Umfeld - die Uni - ein offenes, internationales ist. Ich habe auch das Glück, dass ich keine allzu offensichtlichen "Fremdheits-Merkmale" trage: Ich komme aus einem Land, dessen Kultur den ÖsterreicherInnen vertraut ist, ich spreche fast perfekt Deutsch, ich sehe aus wie die Mehrheit hier und übe einen Job aus, der in der Gesellschaft anerkannt ist. Das trägt dazu bei, dass ich weniger "fremd" wahrgenommen werde.

Störend ist manchmal, dass einige davon ausgehen, dass ich nach Ungarn zurückkehre. Es ist noch immer nicht selbstverständlich, dass jemand einfach bleiben will. Alles in allem lebe ich hier eigentlich so wie in Ungarn, bin jedoch nicht richtig "engagiert" was das öffentliche Leben betrifft. In Ungarn war ich natürlich viel mehr politisch. Wenn ich gefragt werde, was ich hier besonders schätze, dann sind das Ruhe, Sicherheit, Absehbarkeit der Prozesse, Klarheit und natürlich die Kultur.

Ich kann die Frage – wie ein „menschenwürdiges Zusammenleben in einer Region“ gestaltet werden kann – nicht leicht beantworten, weil das, ob man in einem „multikulturellen“ Kontext gut miteinander auskommt, immer mit tradierten Fremdbildern und Denkmustern etwas zu tun hat. Dass eine Stadt – auf der öffentlichen Ebene – für gelebte Toleranz plädiert, ist noch lange nicht genug. Es muss etwas in den Köpfen passieren: Man muss z.B. als "Mehrheits-Angehöriger" akzeptieren, dass es die Homogenität von Nationen und Kulturen in einer globalen Welt nicht mehr geben kann. Man sollte die Menschen auch für die Bereitschaft sensibilisieren, sich selbst und die eigenen Wertvorstellungen in Frage zu stellen.

Die Arbeit an einem toleranten Zusammenleben beginnt in diesem Sinne bei der Arbeit an uns selbst. Es sollte nicht nur heißen: Lerne den „Fremden“ besser kennen, es sollte auch heißen: Erkenne dich selbst im Spiegel des Anderen. Weil ich aus der Didaktik komme, vertrete ich natürlich die Meinung, dass es die Aufgabe der Bildung ist, alte Gewissheiten und Denkkategorien aufzubrechen und zur Selbstreflexion anzuleiten. Um den Sprachen und Kulturen der in Österreich lebenden MigrantInnen und Minderheiten wertschätzend zu begegnen, bedarf es vieler Projekte und der positiven medialen Präsenz dieser Sprachen (in Zeitungen/Büchern/Anthologien), die beispielsweise auf die Normalität der Mehrsprachigkeit aufmerksam machen. Bei diesen Projekten sollte man jedoch auch darauf achten, Unterschiede und Konflikte zwischen den Kulturen nicht ausbügeln zu wollen und die Illusion eines „Multikulti-Idylls vorzutäuschen.

Ob ich die österreichische Staatsangehörigkeit bekommen möchte, weiß ich nicht. Manchmal denke ich, dass es leichter wäre, wenn ich sie hätte. Ein anderes Mal denke ich, dass es nicht die Staatsbürgerschaft ist, die mich zur Österreicherin macht. Wahrscheinlich werde ich das Ansuchen erst stellen, wenn ich der Meinung bin, ich bin so weit - nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen.

04.04.2013