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Aus der REIHE MIGRATIONSGESCHICHTEN von Birgit Stegbauer  (mehr InterviewpartnerInnen)
Nasim NAJAFI, 22:
Der in Österreich subsidiär Schutzberechtigte Afghane hat eine lange Fluchtgeschichte: Als alleinfliehender Minderjähriger erreichte er über Pakistan, den Iran und die Türkei mit dem Boot die Festung Europa. Die griechischen Behörden verweigerten die Aufnahme eines Asylverfahrens. Im illegalen Transit gelang ihm die Flucht nach Österreich, wo er sich jetzt ein neues Leben aufbaut.
Ich bin ungefähr 1992 zur Welt gekommen. Ich kann das nur so ungefähr sagen, denn in Afghanistan schreiben wir nicht auf, wann Kinder geboren werden. Mit meinen Eltern und Geschwistern habe ich in Ghazni gelebt, das ist ein Stadt in den Bergen, südwestlich von Kabul. Mein Vater besaß dort einen Laden und wir hatten Felder und Gärten. Ich bin 2-3 Jahre in der Moschee zur Schule gegangen und danach fünf Jahre auf die normale Schule, wo ich Lesen und Schreiben gelernt habe. Ich konnte auch viel spielen.
Meine Kindheit war um, als mein Vater erschossen wurde. Denn in Afghanistan ist es so, dass eine Feindschaft alle männlichen Familienmitglieder miteinbezieht. Wir gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara, das sind persisch-sprachige Schiiten, die etwa 9% der afghanischen Bevölkerung ausmachen. Jetzt fürchtete meine Mama um mein Leben, denn ich bin ihr ältester Sohn. Sie hat deshalb entschieden, dass ich aus Afghanistan weg muss. Damals war ich etwa 16 Jahre alt.
Wir haben mit einem Schlepper Kontakt aufgenommen, meine Mama hat alles Bargeld gesammelt und dem Schlepper gegeben und dann wurde ich nach Pakistan geschleust. Ohne Papiere war ich dort aber nicht sicher, so dass meine Mutter noch mehr veräußern musste, dass der Schlepper mich weiter in den Iran brachte. Obwohl es im Iran fast nur Schiiten gibt, war meine Lage dort schlimmer als in Pakistan, wo man mit Geld viel erreichen konnte. Also hat mein Schlepper mit einem anderen Schlepper gesprochen, damit ich vom Iran in die Türkei weiterfliehen konnte.
Jeder illegale Grenzübertritt war schlimm, aber auf dem Weg in die Türkei waren wir eine Woche ohne Essen und Trinken und haben nur zu Gott gebetet, dass er uns hilft. In der Türkei bin ich ein bis zwei Monate geblieben und habe gearbeitet. Die anderen Afghanen wollten weiter nach Amerika, Australien oder Europa, wo es Sicherheit gibt und man ohne Angst leben kann. Wieder habe ich einem Schlepper viel Geld gezahlt und bin ich schließlich mit 20 oder 25 anderen Leuten auf einem Schlauchboot nach Griechenland. Im zweiten Versuch hatten wir Erfolg und erreichten die griechische Küste.
Aber die griechische Polizei verweigerte uns das Asylrecht*. Wir wurden geschlagen und weggeschickt, hatten keinen Platz zum Schlafen, nichts zu essen und zu trinken, durften nicht arbeiten. Als illegale Immigranten lebten wir in ständiger Angst vor der Abschiebung in die Türkei oder unsere Heimatländer. Ich war alleine, ohne Geld und verzweifelt. In dieser Situation bin ich mit anderen Afghanen nach Patras gefahren, einem großen Fährhafen, der für einige Wenige von uns das Tor nach Europa bedeutet. Denn es gibt dort große LKW, in denen wir mit Hilfe von Schleppern und mit viel Glück als blinde Passagiere in andere europäische Länder entkommen können.
Ich hatte es schon mehrfach versucht; sobald ich entdeckt wurde, wurde ich von den Fahrern und vom Sicherheitsdienst des Hafens geschlagen, davor hatte ich die meiste Angst. Trotzdem war das meine einzige Hoffnung aus Griechenland raus zu kommen. Schließlich war es einmal so weit: Ich hatte es unentdeckt in einen LKW geschafft und war unterwegs, mit unbekanntem Ziel. Zu dem Zeitpunkt, als der LKW-Fahrer endlich die Tür zum Laderaum öffnete, war ich halb bewußtlos. Eine Ambulanz brachte mich in ein Krankenhaus, wo ich Infusionen bekam und eine Dolmetscherin mir sagte, dass ich in Österreich bin. Da wußte ich, dass ich nun in Sicherheit war.
Einen Tag habe ich im Gefängnis verbracht, danach bin ich ins Asyl-Erstaufnahmezentrum Traiskirchen gekommen. Von dort ging es weiter nach Kärnten, nach Klagenfurt, wo ich in zwei verschiedenen Pensionen untergebracht war. Ich war mit 11-12 anderen minderjährigen Asylwerbern in einer Gruppe. Das Leben in den Pensionen habe ich eigentlich positiv in Erinnerung. Mir hat es vor allem gefallen Menschen aus anderen Kulturen, mit anderen Sprachen und Religionen kennenzulernen. Das Schlimme jedoch war die Unsicherheit darüber, wie über den Asylantrag entschieden werden würde; das macht die Menschen psychisch krank.
Ich hatte Glück, ich musste nur zwei Jahre auf meinen Bescheid warten, bei anderen dauerte es vier, sechs Jahre. Mein Antrag wurde zwar abgelehnt, aber weil mein Leben in meinem Heimatland bedroht ist, wurde ich nicht abgeschoben; Österreich gewährt mir seitdem subsidiären Schutz. Das schränkt zwar meine Reisefreiheit ein, aber ich kann hier zur Schule gehen und arbeiten. Den Hauptschulabschluß habe ich schon nachgemacht. Zur Zeit arbeite ich, damit ich genug Geld habe, um später an der Handelsakademie Matura zu machen und vielleicht auch zu studieren. Ich will weiterlernen und einmal ein positives Vorbild für andere Menschen sein.
                                                                                             17.09.2013
*Anm. d. Red.: Die Dublin II Verordnung vom 18.02.2003 regelt die Zuständigkeiten bei Asylverfahren in der Europäischen Gemeinschaft. Die wichtigste Regel bestimmt, dass der EU-Staat, in dem der Flüchtling zuerst (illegal) eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss. Die - ärmeren - südeuropäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten der EU, werden in der Zuständigkeit für die Bootflüchtlinge von den anderen EU-Staaten sich selbst überlassen; diese wiederum überlassen die Bootflüchtlinge sich selbst.