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Aus der REIHE MIGRATIONSGESCHICHTEN von Birgit Stegbauer  (mehr InterviewpartnerInnen)

Viktorija Ratković, 31: Die Kroatin kam als 9-Jährige im Rahmen einer Kinderverschickung aus dem Bürgerkriegsland nach Salzburg. Heute ist sie Migrationsforscherin an der Uni Klagenfurt und findet, dass Migrationserfahrungen neu bewertet werden müssen.

Meine Familie ist 1991, als der Kroatienkrieg ausbrach und unsere Stadt besetzt wurde, von Petrinja nach Sisak geflohen. Wir wohnten da bei einer Cousine meiner Mutter, es sollte ja nur vorübergehend sein. Anfangs war das auch ganz lustig, aber dann kam diese Zeit, wo wir alle wieder gerne nach Hause gegangen wären. Stattdessen haben meine Eltern für mich eine Kinderverschickung* nach Österreich aufgetan. Mit anderen Kindern aus Sisak kam ich nach Salzburg, ins Privatgymnasium der Herz-Jesu-Missionare. Alle dort waren sehr bemüht, aber trotzdem war es eine dramatische Zeit.

Es hat fast ein Jahr gedauert, bis meine Familie wieder vereint war, das war dann in Velden am Wörthersee, wo wir als Flüchtlinge in einer Pension gelebt haben. Mit Hilfe der Pensionsbetreiber, die für uns eine Wohnung gesucht haben, konnten wir schließlich unsere erste eigene Wohnung beziehen. Wir hatten Glück. Andere Flüchtlinge, die solche Hilfe nicht hatten, haben zum Teil ganz, ganz schlimme Wohnverhältnisse gehabt, zum Beispiel ohne fließendes Wasser.

Ich hatte schon in Salzburg ein wenig Deutsch gelernt und bin in Velden noch 2-3 Monate in der 4. Klasse Volksschule gewesen. Als erste Kroatin, als erstes Bürgerkriegs-Flüchtlingskind in der Klasse, vermutlich sogar in der ganzen Schule, war ich etwas Besonderes und alle haben sich sehr um mich gekümmert. Zum neuen Schuljahr bin ich gleich in die Hauptschule aufgestiegen. Ich hatte Glück, die meisten Flüchtlings-Kinder aus dieser Zeit haben ein Jahr wiederholen müssen. Trotzdem waren zum Beispiel die Hausübungen in den ersten Jahren nur mit Hilfe des Wörterbuchs zu schaffen.

Als ich schon ein oder zwei Jahre in der Hauptschule war, sind dann weitere Flüchtlinge gekommen, die haben einen ganz niedrigen Status in der Klasse gehabt. Ich habe zu der Zeit schon fließend Deutsch gekonnt und bin nicht mehr als Fremde wahrgenommen worden. Aber die Dynamik ist dann gekippt und die neu Zugezogenen hatten es viel schwerer. Ich hingegen hatte von Anfang an praktisch nur Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung, bin sozusagen komplett von der Community abgetrennt aufgewachsen.

Nach der Hauptschule habe ich nach Villach, ans Perau-Gymnasium gewechselt, in der dortigen Klasse war ich wieder die einzige Ausländerin. Auch da hat mein Hintergrund keine Rolle gespielt, weil ich die deutsche Sprache schon perfekt beherrscht habe. Später habe ich an der Uni Klagenfurt Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert und nun arbeite ich am Zentrum für Frauen- und Geschlechterstudien, wo ich eine Doktorarbeit zum Thema Medien von MigrantInnen und den darin vorhandenen Identitätskonstruktionen schreibe.

Meiner Erfahrung nach ist die gute, vor allem akzentfreie Beherrschung der deutschen Sprache schon entscheidend dafür, wie jemand hier wahrgenommen und behandelt wird. Wir haben früher zum Beispiel laufend neue Visa gebraucht und mussten dazu auf die BH Villach. Bei Behördengängen habe ich meine Eltern stets begleitet, zum Übersetzen und zum Formulare ausfüllen. Das war für mich immer mit Bauchkrämpfen verbunden, obwohl eh klar war, dass unser Status verlängert wird. Mir ist damals schon aufgefallen, dass ich dort viel besser behandelt werde als viele andere, nur weil ich so gut Deutsch spreche.

Mittlerweile haben wir schon lange eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Wir haben alle noch immer die kroatische Staatsbürgerschaft, obwohl ich mir nicht wirklich vorstellen kann, wieder in Kroatien zu leben. Ich hänge auch überhaupt nicht an der kroatischen Staatsbürgerschaft, für mich persönlich ist die fremde Staatsbürgerschaft allerdings eine Erinnerung daran, wie es Leuten geht, die eben nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben, und somit mit vielen Nachteilen und rechtlichen Unsicherheiten leben. Ich habe das Gefühl, dass ich durch die Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft dieses System bestätigen würde, gleichzeitig muss ich aber auch sagen, dass mit meinem rechtlichen Status auch ganz viele Privilegien verbunden sind, die zum Beispiel Asylsuchende nicht haben.

Was ich hier besonders schätze sind der Sozialstaat, die Sicherheit, der Wohlstand, die medizinischen Standards, die Schulen. Und die große Freiheit. Oder auch Rechte. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern ist Österreich ein sicherer Hafen. Was ich aus meiner Lebenserfahrung mitgenommen habe ist ein ganz hohes Sicherheitsbedürfnis und der Wunsch, immer auf möglichst alles vorbereitet zu sein.

Als Migrationsforscherin finde ich, dass Migration neu und anders bewertet werden muss als das in Österreich bislang der Fall ist. Einerseits müsste Migration eine weniger wichtige Rolle spielen. Die gesellschaftlichen Bedingungen sollten insgesamt so sein, dass jeder und jede sich in das Gemeinschaftsleben einbringen kann, unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung – und eben auch MigrantInnen. Dazu sollte gehören, dass solche Mitarbeit auch bezahlt wird und nicht nur auf freiwilliger Basis geschieht. Das wäre bei meiner Familie nie gegangen, in den ersten Jahren musste man ja schuften bis zum Umfallen und hätte sich am Abend nicht noch in einen Verein reinsetzen können oder ehrenamtlich wo aushelfen.

Andererseits müsste bei der Mehrheitsbevölkerung ein Bewußtseinswandel einsetzen, nämlich dass die Bedingungen derzeit so sind, dass gerade MigrantInnen oft mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Sie sind Menschen wie alle anderen auch, ihnen werden aber oftmals Steine in den Weg gelegt. Mir ist es ganz wichtig zu betonen, dass der Erfolg von einer Person niemals nur dadurch zustande kommen kann, dass die Person selbst viel leistet. Vieles hängt von der Unterstützung durch andere, von Zufällen und Glücksmomenten ab. Deswegen bin ich ein großer Fan von solidarischen Gemeinschaften, Hilfspaketen und der EU. Gäbe es eine europäische Staatsbürgerschaft, ich würde diese sofort annehmen.

04.04.2013

 

*Anm. d. Red.:

 Es handelt sich um die sog. "Aktion Frieden schenken" (Kroatenkinder-Aktion) aus der Zeit vom September 1991 bis März 1992, die vom damaligen Landesschulrat von Salzburg und den "Salzburger Nachrichten" initiiert war. Damals wurden ca. 100 7-8-jährige Kinder aus der kroatischen Industriestadt Sisak, deren Bombardierung durch die Serben befürchtet wurde, nach Salzburg evakuiert. Die Kinder wurden kroatischerseits von LehrerInnen und BetreuerInnen begleitet und in Salzburg in kleinere Gruppe aufgeteilt  untergebracht und betreut. 21 Buben und Mädchen waren zusammen mit einer Lehrerin und zwei Betreuern Gast im 'Bondeko' der Herz-Jesu-Missionare.

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