Aus der REIHE MIGRATIONSGESCHICHTEN von Birgit Stegbauer  (mehr InterviewpartnerInnen)

Edisa Redzic, 26: Die Familie der in Bosnien-Herzegowina gebürtigen Österreicherin floh 1992 vor den ethnischen Säuberungen des Bosnienkrieges. Die Slawistin hat ihren einzigen Kulturschock auf einer typisch österreichischen Hochzeit erlitten - Hochzeitsbrauchtum in Bosnien-Herzegowina wählte sie zum Thema ihrer Magisterarbeit.

Geboren wurde ich in Prijedor, einer Stadt im Nordwesten Bosniens. Mein Papa hat damals schon als Gastarbeiter in Österreich gearbeitet, während meine Mama mit uns Kindern in Jugoslawien lebte. Im April 1992 ist mein Papa uns besuchen gekommen, weil ein moslemischer Feiertag war, Bajram*. Und als er wieder zurück nach Österreich fahren wollte, kam er nicht mehr aus Bosnien raus, die serbische paramilitärische Einheiten hatten Barrikaden an sämtlichen Grenzübergängen errichtet. Es zeichnete sich ab, dass Krieg kommen würde. Also haben wir uns auf den Weg gemacht: 3 Erwachsene und 4 Kinder in einem kleinen Stojadin, einem jugoslawischen Kleinwagen.

Ich erinnere mich noch an eine Brücke über die der Papa ganz langsam gefahren ist, im Slalom an den Minen vorbei. Und daran, wie wir einmal umgekehrt sind, weil in unserer Richtung gekämpft wurde. Vor allem aber an eine Kontrolle durch die serbische paramilitärische Einheiten, aber Gott sei Dank waren die begleitet von regulären Soldaten der JNA (Jugoslawische Volksarmee). Wenn die nicht dabei gewesen wären, wer weiß, was da passiert wäre. Viele meiner männlichen Verwandten wurden damals ohne Angabe von Gründen verhaftet und kamen in Lager, nicht alle haben das überlebt.

Über einen Zwischenstopp in Slowenien sind wir in die Steiermark gefahren, wo mein Papa Arbeit und ein Zimmer hatte. Nach 2-3 Monaten hat er eine andere Arbeit angenommen, in Münichtal, in der Nähe von Eisenerz-Leoben. Weil mein Papa schon als Gastarbeiter in Österreich gelebt hat, bevor wir nachgekommen sind, haben wir uns nicht als Flüchtlinge gemeldet. Mein Papa meinte, es gibt andere, die brauchen die Flüchtlingshilfe mehr als wir.

Aber die Vermieterin von unserer Wohnung, eine Frau, die ursprünglich aus Montenegro stammte, hat uns glaube ich als Flüchtlinge gemeldet. Sie hat uns in die Kirche geschleppt, damit die Caritas sieht, wir existieren und sie hat Geld empfangen, das sie für sich behalten hat. Als meine Eltern das rausbekommen haben, haben sie gleich eine andere Wohnung gesucht.

In Münichtal sind mein Bruder und ich eingeschult worden. Später sind wir nach St. Paul im Lavanttal gezogen, da bin ich auf die Hauptschule gegangen und von dort bin ich nach Klagenfurt gefahren. Erst ans BORG, wo ich die Matura gemacht habe, dann an die Uni, wo ich Slawistik studiert habe.

Sieht man von zwei Studienfreundinnen ab, habe ich nur Österreicherinnen als Freundinnen. Es gibt so kleine Nuancen, wo wir uns besser verstehen. Man merkt die Unterschiede als Kind nicht, erst in der Jugend: Ich darf das nicht, ich darf das nicht und da gibts auch nichts zu diskutieren mit den Eltern. Das geht bei uns nicht. Was die Eltern sagen ist Gesetz.

Meinen einzigen wirklichen Kulturschock habe ich vor ein paar Jahren gehabt: Ich war auf der Hochzeit einer Schulfreundin zu Gast, da wurden bei Spielen Fragen gestellt, unter anderem zum Thema Sex! Vor den Eltern! Das ist bei uns als Thema verpöhnt, mit Freunden ja, aber nicht mit den Eltern! Oder dass der Bräutigam aus dem Schuh der Braut getrunken hat! Mir war das Alles etwas fremd, ich habe mir gedacht: Wow, sie machen das so!

Ansonsten kommen die Leute gar nicht darauf, dass ich woanders her bin. Außer ich sage meinen Namen. Auch meine Religionszugehörigkeit, der Islam, wird gar nicht wahrgenommen. Die ganzen Traditionen von Religionen sind kulturbedingt, deshalb sind die moslemischen Bosnier und Herzegowiner wieder eine ganz andere Geschichte als die aus den arabischen Ländern.

Mein Papa kann gar nicht gut Deutsch. Noch heute muss ich für ihn Sachen übersetzen oder mit ihm zum Arzt gehen. Die Mama findet sich schon besser zurecht. Was ich an ihr bewundert habe ist, dass sie in der Volksschule mit uns zum Sprachunterricht gegangen ist und auch andere Frauen dazu ermutigt hat, nur sind die nicht dabei geblieben. Sie haben meine Mama ausgelacht, waren aber dann doch froh, wenn sie ihnen helfen konnte. Aber es ist schon so, dass man die Rolle des Erwachsenen übernimmt und wahrscheinlich schneller als andere, gleichaltrige Kinder Erwachsen wird.

Im Vergleich zu Bosnien-Herzegowina ist es so sauber hier. Die ÖsterreicherInnen stecken die Nasen weniger in die Probleme anderer und sprechen Termine vorher ab, das finde ich wirklich gut. Auch die Natur. Und das Gesundheitswesen. Dass das Land nicht ganz so korrupt ist. 

Aber die ÖsterreicherInnen sind sehr mit sich selbst beschäftigt, die müssen ein bissl offener werden für das Thema Zuwanderung und Zusammenleben. Die Wenigen, die sich interessieren, die informieren sich und helfen auch. Selbst bei Veranstaltungen kommen ja nur wieder die, die sowieso interessiert sind. Aber wie man da was ändern kann, weiß ich nicht. Das Einzige, Bildung, bei den Kindern, da kann man viel bewirken, glaube ich.

2004 hat meine ganze Familie die österreichische Staatsbürgerschaft beantragt und dann angenommen. Eher aus wirtschaftlichen Gründen, man hat mehr Rechte, kann besser reisen als mit dem bosnischen Pass. Leider gibt es keine doppelte Staatsbürgerschaft. Wir haben die Bosnische aufgeben müssen. Es war ein komisches Gefühl, wie wir diesen Eid gesprochen haben, weil ich etwas von mir weggelegt habe, das zu mir gehört, meine Wurzeln. Aber dann... es ist nur ein Stück Papier. Es bedeutet gar nichts.

05.04.2013

*Anm. d. Red.:

"Bajram" ist ein türkisches Wort für "Fest" und kann sowohl religiöse Feste bezeichnen, wie zum Beispiel das islamische Opferfest, als auch säkulare Feste, wie etwa das iranische Neujahrs- oder Frühlingsfest Nouruz. Hier bezieht sich der Begriff auf das Fest des Fastenbrechens am Ende des Fastenmonats Ramadan.

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