Projekte   Plattform-Projekte   MIGRATIONSGESCHICHTEN  SELIMAGIC Murat

Aus der REIHE MIGRATIONSGESCHICHTEN von Birgit Stegbauer  (mehr InterviewpartnerInnen)

Murat SELIMAGIC, 39: Der gebürtige Bosnier hat schon vieles erreicht und noch so manches vor. Rassismus hat er in Österreich nur innerhalb der ex-jugoslawischen Immigrantengruppe erlebt, wo der Krieg sich - ungewollt - zwischen die ethnischen Gruppen gedrängt hat. Der von ihm gegründete Verein VIVO setzt sich für ein gelebtes Miteinander ein.

Als ich 1991 aus Bosnien auswanderte war ich 17 und besuchte ein Militärgymnasium in Zagreb. Der Slowenische Krieg war gerade aus und ich habe meinen Vater, der in Villach als Gastarbeiter arbeitete, besucht. Gegen Ende der Sommerferien hatte der Kroatienkrieg angefangen, die Grenzen waren plötzlich geschlossen und ich konnte nicht mehr zurück. Dabei wollte ich wirklich zurück und mein Vaterland verteidigen - darauf war ich durch meine militärische Ausbildung an der Schule vorprogrammiert. Jung wie ich war, konnte ich nicht einschätzen, was während des Kroatien- und Bosnien-Krieges wirklich geschah. Erst danach, als alles vorbei war, konnte man sehen, dass das alles so sinnlos war.

Aber den Weg zurück hat mein Vater mir gleich ausgeschlagen. Er hat darauf gedrungen, dass ich das Militärgymnasium in Zagreb abbreche und in Österreich bleibe. Er hat mir dann bei seinem Arbeitgeber zu einer Stelle als Hilfsarbeiter verholfen. Ich wurde gleich auf eine Baustelle ins Gailtal geschickt. Die ersten 14 Tage waren hart, ich konnte kaum Deutsch und meine Kollegen haben mir aufgezeichnet, was ich holen sollte: Axt, Firmenkiste, etc. Aber die Kollegen waren gut, die haben mir viel geholfen, und durchs Reden habe ich mit der Zeit Deutsch gelernt.

Später habe ich in derselben Firma eine Zimmermannslehre gemacht. Ich war schon ziemlich weit mit der Ausbildung und hatte immer noch keinen Blockunterricht an der Berufsschule. Also hat mein Ausbildungsbetrieb bei der Schule angerufen und gefragt, warum ich noch nicht drangekommen bin. Und deren Antwort war: Wir warten bis der Deutsch kann, dann kann er die Schule besuchen. Als es schließlich soweit war, hatte ich eine Chance allen zu zeigen was ich kann und habe mit Auszeichnung abgeschlossen.

Anschließend bin ich zum Zimmermanns-Polier ausgebildet worden, das war eher unüblich, weil man für die Ausbildung zahlen musste. Doch die Firma hatte mir das angetragen und die Kosten getragen, ich musste nur zusichern, dass ich noch ein paar weitere Jahre bei der Firma bleibe. Nebenbei habe ich geheiratet, der Sohn war schon da, und wir haben ein Haus gebaut in Bosnien.

Irgendwann wollte ich mich beruflich verändern. Ich habe gekündigt und habe die nächsten sieben Jahre für ein anderes Baumanagement-Büro gearbeitet, meist auf Baustellen in Slowenien und dem früheren Jugoslawien. Danach war Zeit für den nächsten Schritt, mich selbständig machen und das bin ich nun, seit fünf Jahren, als Baumanager. Meine Auftraggeber sind in der Regel Österreicher, mein Fokus aber sind die ehemaligen jugoslawischen Länder.

Meine Erfahrungen hier sind durchaus gut, ich wurde wirklich gut empfangen. Vielleicht lag es an meiner Leistung und meiner Ehrlichkeit? Was aber schlecht oder negativ war: Wir ehemaligen Jugoslawen unter uns! Wir haben uns total getrennt! Serben-Kroaten-Bosniaken. Vor dem Krieg hatte mein Vater einen Club als Präsident geführt, den Club Jugoslavija, da trafen sich alle Nationen und auf einmal war das alles aus. Seither ist jeder für sich, hat seinen eigenen Verein, seine eigenen Räumlichkeiten, seine eigenen kleinen Veranstaltungen.

Ich versuche jetzt dort anzuknüpfen, wo der Vater aufgehört hat. Im Februar habe ich einen Verein gegründet namens VIVO, Villacher Integrationsverein, der alle einbezieht, gemeinsame Unternehmungen verschiedener Vereine auf die Beine stellt. Noch ist alles im Entstehen. Wir wollen durch Veranstaltungen die Leute erreichen und dafür sorgen, dass es ein Kennenlernen gibt. Denn der Fremde bleibt ein Fremder, solange ich ihn nicht kennengelernt habe.

Auf kommunaler Ebene gibt es mit dem Leitbild Integration schon Ansätze für ein friedliches Zusammenleben aller Nationen und Kulturen. Nun liegt es an uns aus dem Nebeneinander ein Miteinander zu gestalten. Auf wirtschaftlicher wie sozialer Ebene. Man braucht nichts Neues zu erfinden: Es gibt schon Mittel, Ideen, Projekte. In Wien passiert so vieles. Hier hingegen hapert es mit der Umsetzung. Seien es Geldmittel oder Unwille oder Parteiprägung. Nur diese Überwindung ist da. Gemmas an, pack mas an.

Die österreichische Staatsbürgerschaft habe ich erst seit vier Jahren. Ich hatte lange dieses Heimweh. Ich musste erst das eine abschließen und um dann neu anfangen zu können. Schließlich war die Zeit reif. Ich liebe die Stadt Villach, meine Familie fühlt sich wohl hier, wir bleiben jetzt hier. Um diesen Neuanfang nicht nur auf dem Papier, sondern mit dem Herzen zu leben, möchte ich Villach aktiv mitgestalten. Deshalb versuche ich auch noch in die Politik einzusteigen, bin offiziell einer Partei beigetreten und möchte 2015 für den Gemeinderat kandidieren.

20.06.2013

Nach oben