Wem nützt oder schadet Zweisprachigkeit?

  • Gogolin Wem nuetzt oder schadet Zweisprachigkeit.pdfGogolin Ingrid: Wem nützt oder schadet Zweisprachigkeit? (Unter: http://www.epb.uni-hamburg.de/erzwiss/gogolin/cosmea/core/corebase/mediabase/foermig/website_gogolin/dokumente/publikationen/Bildungssprache.pdf) Wem nützt oder schadet Zweisprachigkeit? Prof. Dr. Ingrid Gogolin Vorbemerkung Auseinandersetzungen über die Frage, ob das Individuum oder die Gesellschaft Zweisprachigkeit oder Mehrsprachigkeit ‚vertragen’ können, sind nicht neu. In meinem Beitrag werde ich zunächst an die Tradition dieses Disputs erinnern. Vor diesem Hintergrund werde ich einige neuere Forschungsergebnisse vorstellen und in Überlegungen einordnen, die der sprachlichen Erziehung und Bildung im Kontext von Mehrsprachigkeit gelten. 1. Alter Streit in neuen Schläuchen An der Frage, ob Zweisprachigkeit oder Mehrsprachigkeit1 gut für den einzelnen Menschen und für das Gemeinwesen sei, in dem er lebt, scheiden sich nicht erst heute die Geister. Und die in der Debatte vorgebrachten Argumente sind keineswegs neu. Blättern wir beispielsweise in Lexika des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, so begegnen uns Standpunkte wie der von dem Lexikonautor Friedrich Wilhelm Schubert, der vor etwa 130 Jahren den damaligen Zeitgeist formulierte: Die Einheit eines Staates und zwar des Culturstaates [erfordert] schon wegen der Gemeinsamkeit seiner Interessen und damit die Wohltaten, Vortheile und Rechte allen Angehörigen zu Theil werden, dass die Sprache desjenigen Stammes Gemeingut aller Bewohner werde, der durch Bildung überhaupt, durch Gewerbefleiß, Industrie, Handel, Kunst und Wissenschaft eine in weitem hervorragende Stellung vor den übrigen einnimmt... Friedrich Wilhelm Schubert, 1873 Vor knapp 100 Jahren konstatierte der Theologe und Pädagoge Eduard Blocher: „Also erster Nachteil: ein ungemein großer Aufwand an Zeit und geistiger Kraft muß auf die Erhaltung und Verwirklichung der Zweisprachigkeit verwendet werden. [...] Ein weiterer Nachteil ist die Abstumpfung und Schwächung des Sprachgefühls. Natürlich gibt es hier nach Begabung, Erziehung, Umgebung sehr große Unterschiede. Aber die Schwächung ist immer da. [...] Die höchsten sprachlichen Leistungen sind nur dem Einsprachigen möglich. Sind alle Schädigungen sprachlicher Art überwunden, so zeigt immer noch das Denken gewisse Spuren der Zweisprachigkeit. [....] Zusammenfassung der Nachteile, die aber nicht alle bei demselben Menschen vorzukommen brauchen: großer Aufwand von Zeit und Kraft auf Kosten andrer Arbeit, Schwächung des Sprachgefühls durch gegenseitige Beeinflussung der beiden Sprachen, Unsicherheit des Ausdruckes, Sprachmengerei, Armut des lebendigen Wortschatzes, Lockerung der geistigen Gemeinschaft mit den Einsprachigen, d.h. mit der großen Mehrzahl der Volksgenossen.“ Eduard Blocher 1910 In der jüngsten Zeit haben sich wieder einmal einige Wissenschaftler öffentlich mit recht unzweideutigen Aussagen über Zweisprachigkeit im Migrationskontext zu Wort gemeldet. Die Verteidigung des Positiven an der Zweisprachigkeit von Migranten sei ein wissenschaftlich unhaltbarer Unsinn, so wird es vorgetragen – und es verwundert nicht, dass damit Schlagzeilen gemacht werden – etwa diese aus der Süddeutschen Zeitung: