Zur Entwicklung der kindlichen Mehrsprachigkeit

  • Meisel Zur Entwicklung der kindlichen Mehrsprachigkeit.pdfMeisel Jürgen M. : Zur Entwicklung der kindlichen Mehrsprachigkeit (Universität Hamburg) http://www1.uni-hamburg.de/romanistik/personal/pdf-Dateien/Zur%20Entwicklung%20der%20kindlichen%20Mehrsprachigkeit.pdf ZUR ENTWICKLUNG DER KINDLICHEN MEHRSPRACHIGKEIT Jürgen M. Meisel, Universität Hamburg, Sonderforschungsbereich Mehrsprachigkeit, Institut für Romanistik Vorbemerkung Der Spracherwerb von Kindern, die mit zwei oder mehr Sprachen aufwachsen, wird in der Forschung ebenso wie in der öffentlichen Debatte mit außerordentlich emotio-nalem Engagement diskutiert. Dabei fließen in der Regel unreflektierte Vorannahmen mit ein, die oft ideologisch bedingt sind. Das gilt sowohl für manche enthusiastischen Plädoyers für die Förderung einer Vielsprachigkeit als auch für skeptische bis aggres-sive Ablehnungen kindlicher Mehrsprachigkeit. Diese Beobachtungen treffen nicht nur auf Deutschland zu. Hier wird dies aber dadurch verstärkt, dass das Land im Un-terschied zu anderen europäischen Ländern lange Zeit ethnisch und sprachlich ver-gleichsweise homogen war. Vielen Menschen ist noch nicht wirklich deutlich gewor-den, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland und ein mehrsprachiges Land ist. Die Arbeitsmigration ist dafür die wichtigste Ursache. Zwei- oder Mehrsprachigkeit – die beiden Begriffe werden hier nicht unter-schieden – wird aber auch dann kritisch beurteilt, wenn Deutschland als Einwande-rungsland akzeptiert ist und Möglichkeiten der Integration erörtert werden. Dies gilt besonders dann, wenn die sprachliche Entwicklung von Kindern zur Debatte steht. Es scheint der Eindruck vorzuherrschen, dass es sich dabei letztlich um einen instabilen Zustand handelt, so als ob die Betroffenen zwischen zwei Sprachen lebten. Je nach Perspektive wird das als latente Bedrohung der Familiensprache oder als unzureichen-de Entscheidung für die Mehrheitssprache begriffen. Tatsächlich hat die linguistische und die psychologische Forschung der ver-gangenen 15 – 25 Jahre Einsichten in die Prozesse und Resultate bei der Entwicklung von Mehrsprachigkeit gewonnen, die inzwischen als gesicherter Wissensstand gelten und die ein ganz anderes Bild zeichnen. Im Folgenden werden einige Aspekte dieser Forschungsergebnisse zusammengefasst, die für die kindliche Mehrsprachigkeit im Migrationskontext von Bedeutung sein können. Die überwiegende Mehrheit der Kin-der, deren sprachliche Entwicklung studiert wurde, haben ihre Sprachen in bilingualen Familien erworben, die entweder in mehrheitlich einsprachigen Umgebungen oder in teilweise mehrsprachigen Gesellschaften leben, wie etwa autochthonen Minderheiten. Die untersuchten Situationen betreffen somit nicht primär die Migration; sie umfassen aber sozioökonomisch vielfältige Kontexte. So kann verdeutlicht werden, welche Er-werbsprozesse und Erwerbserfolge möglich sind. Wo diese von Kindern in Migran-tenfamilien nicht erreicht werden, sollte die Frage gestellt werden, warum das an sich Mögliche nicht möglich gemacht wird.