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Christiane Schütte (PLATTFORM MIGRATION) und Laura Ippen (VOBIS) über die Gründe für die Entstehung der Integrationsdrehscheibe Kärnten/Koroška, die damit verbundenen Chancen und Schwierigkeiten und ihre eigenen Erfahungen als Migrantinnen in Österreich

(Weitere Interviews dazu finden Sie hier)

Wir treffen uns im Anschluß an einen „Integraionsdrehscheibengipfel“. Weshalb bedarf es überhaupt der Integrationsdrehscheibe Kärnten/Koroška und wo liegen die Herausforderungen bei deren Konstruktion?

Christiane Schütte: Die Idee der Integrationsdrehscheibe ist es, eine Kooperation verschiedener Migrationsprojekte in Kärnten/Koroška zu erwirken, um gemeinsam etwas weiter zu bringen, auch um an notwendige finanzielle Mittel zu gelangen. Dabei zeigen sich Schwierigkeiten, so ist es zum Beispiel notwendig die unterschiedlichen Gruppierungen aufeinander abzustimmen, um deren jeweilige Vorstellungen in produktiver Weise in die Arbeit der Drehscheibe miteinzubeziehen.

Laura Ippen: Es hat sich ja in der Vergangenheit gezeigt, was nicht funktioniert, dass nämlich eine Person oder Institution quasi von außen hergeht und sagt: „So, wir entwickeln jetzt ein Konzept für die Integrationsförderung in Kärnten, und das ziehen wir durch – ohne dass wir wirklich den Bedarf vor Ort erheben und die unmittelbar Betroffenen miteinbeziehen.“ 
Die Integrationsdrehscheibe versucht jetzt genau das Umgekehrte, nämlich von der Basis auszugehen. Also einerseits von den Leuten, die seit zehn Jahren oder mehr in diesem Bereich in Kärnten/Koroška arbeiten und die damit verbundenen Schwierigkeiten kennen, und andererseits von den MigrantInnen, die das betrifft! Da es sich meistens um Institutionen dreht, die zwar das knowhow besitzen, aber mit ihren beschränkten finanziellen Kapazitäten solche Projekte nicht umsetzen können, braucht es eine gemeinsame Trägerschaft, wie wir sie im Rahmen der Integrationsdrehscheibe beim Berufsförderungsisntitut (bfi) vorgefunden haben. Damit können auch kleinere Projekte zum Zug kommen und sinnvoll arbeiten. Der gemeinsame Rahmen hilft auch dabei, sich abzustimmen, zu sehen wo noch etwas gebraucht wird und was sinnvoll ist.

Wieweit gehen diese Überlegungen auf, gibt es Erfahrungswerte?

Laura Ippen: Hm..., ja und nein. Es gibt die Erfahrungswerte die wir mitbringen und die sich im letzten Jahr, in dem wir versucht haben die Drehscheibe zu installieren, angesammelt haben. Als Integrationsdrehscheibe haben wir noch kaum Erfahrungen, da – wie es in der Förderlandschaft nun einmal ist – die Ansuchen entsetzlich aufwendig sind, viel Zeit brauchen und Entscheidungen hinausgezögert werden, wodurch wir die meiste Zeit in einer unsicheren Warteschleife verbracht haben. Jetzt zeigt sich, dass das Konzept nicht so aufzugehen scheint, wie wir erwartet hatten, dass nämlich die Integrationsdrehscheibe als Ganzes für förderwürdig erachtet wird, und nicht einzelne Projekte gefördert werden, andere wieder nicht, wie es derzeit der Fall ist. Wir müssen also immer noch nach Strategien suchen, sowohl auf kommunikativer als auch auf operativer Ebene, damit es erst zu der tatsächlichen Integrationsdrehscheibe kommt. Die Drehscheibe soll ja als integratives Bündnis funktionieren, das jede Initiative, die etwas beitragen kann, aufnehmen möchte, damit diese, vor dem Hintergrund einer entsprechenden Förderlandschaft, die jeweiligen Best-Practice-Modelle umsetzen kann. 

Wenn man sich die verschiedenen Förderebenen - also EU, Bund, Land - ansieht: Gibt es da Unterschiede in der Beurteilung eurer Bemühungen und Ansuchen als Integrationsdrehscheibe?

Laura Ippen: Erstens ist es noch ziemlich intransparent, was deren Kriterien für oder gegen die Drehscheibe, bzw. für die einzelnen Projekte sind. Auf den jeweiligen Ebenen werden unterschiedliche Projekte herausgegriffen, das deckt sich nur teilweise. Die Landesebene ist wieder eine eigene Geschichte: Da werden, basierend auf früheren Ereignissen und Erfahrungen, einzelne Player von Vornherein dezidiert ausgeschlossen.

Inwieweit schadet denn die nur teilweise Förderung des Drehscheibenprojektpaketes dem Vernetzungsgedanken, der ja ein zentraler Gedanke der Integrationsdrehscheibe zu sein scheint?

Christiane Schütte: Die Tatsache, dass eine - möglicherweise gewollte - Trennung von oberer Seite mitspielt, müssen wir erst verarbeiten. Die erste Reaktion war: „Die wollen uns nicht, also machen wir nicht mit!“ Das dürfen wir aber nicht zulassen, wenn wir als Drehscheibe agieren wollen! Das ist ein Prozess, der erst begonnen hat. Darüber hinaus kooperieren wir als Einzelgruppierungen sehr wohl schon miteinander, wenn auch vorerst informell. Und durch gemeinsame Sitzungen erfährt man auch mehr über die Aktivitäten innerhalb der einzelnen Gruppen. Das zum Beispiel VOBIS nicht „nur“ Sprachkompetenz vermittelt, sondern an einem spannenden Buchprojekt arbeitet (siehe unten). Oder über die sehr öffentlichkeitseffektive Arbeit der PROJEKTGRUPPE FRAUEN.

Man lässt sich also nicht auseinanderdividieren...

Christiane Schütte: Ich bin ich sehr dafür, dass wir acht geben, uns nicht auseinanderdividieren zu lassen. Das war schon immer DAS Machmittel der Herrschenden: „Divide et impera – teile und herrsche!“, und darauf können wir uns nicht einlassen! Wie wir damit umgehen werden - wir sind ja, auch von der Größenordnung her, sehr unterschiedlich aufgestellt - ohne dass Einzelne in’s Hintertreffen geraten, müssen wir uns erst anschauen.

Wäre es eine Strategie mit den einzelnen Best-Practice-Beispielen, unter Nennung der Integrationsdrehscheibe als Plattform, vermehrt in die Öffentlichkeit zu gehen, um den angesprochenen Schwierigkeiten zu begegnen?

Christiane Schütte: Ich denke, dass das ein ganz wichtiger Punkt ist. Dazu soll auch die Homepage der PLATTFORM MIGRATION herangezogen werden. Es gibt auch spannende Best-Practice-Beispiele aus den verschiedenen österreichischen Bundesländern, die publik gemacht werden sollten. Zudem geht es darum, auf das Potential bei den MigrantInnen hinzuweisen, was bislang leicht übersehen wird. Wir sind ja nicht diejenigen, die die MigrantInnen „leiten“, sondern es geht darum Möglichkeiten zu schaffen, damit MigrantInnen ihr Potential einbringen können. Das ist auch schon, wie man anhand der einzelnen Beispiele erkennnen kann, in Umsetzung.

Ihr beide habt ja, streng genommen, auch einen Migrationshintergund, nämlich den Deutschen. Wie gut fühlt ihr euch den in Kärnten/Koroška, in Österreich integriert?

Christiane Schütte: Um es ganz klar und deutlich zu sagen: Wenn man das auf den Kontakt zu/mit ÖsterreicherInnen bezieht, sehr viel weniger als zu Menschen die ebenfalls einen Migrationshintergrund haben. Nicht, dass es eine deutliche Ablehnung gibt, aber mein norddeutscher Akzent bewirkt in der Regel eine spürbare Zurückhaltung. Oder man wird als devisenbringende Touristin behandelt. 
Wesentlicher für mich ist die Tatsache, dass wir Deutschen von der Statistik Austria mittlerweile als größte MigrantInnengruppe geführt werden, noch vor türkischen MigrantInnen. Im Zusammenhang mit einem, sich jetzt hoffentlich auch im politischen Sinn entwicklenden gemeinsamen Europa, ist diese Kategorisierung für mich absolut widersinnig. Von der Definition her, auch nach UN-Kriterien, sind wir natürlich MigrantInnen. Auch wenn wir wieder nach Deutschland zurück kehrten, wären wir dort MigrantInnen. Das haftet uns also an.
Meine Sichtwiese ist diese: Jedes Volk besteht aus vielfältigen, nicht nur ethnisch unterschiedlichsten Menschen, und das Ziel an der Arbeit mit MirgantInnen ist es ja auch, ihnen zu ermöglichen sich so zu entwickeln, dass sie, außerhalb einer künstlich hergestellten Hierarchie, wie jeder andere Mensch hier leben können.

Laura Ippen: Bei dem Stichwort Integration sind wir in einem ganz problematischen Bereich, wenn es darum geht, diesen Begriff zu definieren. Ich gehöre mit Sicherheit zu denjenigen, die integrationsunwillig sind, nur bin ich in der privilegierten Position mir aussuchen zu können, inwieweit ich integriert sein möchte. Ich kann zum Beispiel die hießige Sprache nicht sprechen, auch nach 20 Jahren nicht, selbst wenn ich es wollte. Ich könnte auch die Integrationsvereinbarungstests nicht bestehen, die meine SchülerInnen leisten müssen - unter anderen Voraussetzungen wäre ich also weder als integriert, noch als integrationswillig zu bezeichnen. Aber durch meine Herkunft als Deutsche hatte ich andere Startvoraussetzungen, kann mich also insofern als integriert bezeichnen, da ich die Freiheit habe mir auszusuchen, in welchen Bereichen ich mich integrieren möchte, und weil ich die Möglichkeit habe, Verschiedenstes umzusetzen.

Christiane Schütte: Genau. Wir sind privilegiert hier. Es ist auch sehr schön hier - landschaftlich - aber Schönheit alleine reicht nicht.

 

Christiane Schütte ist Teil des Teams der PLATTFORM MIGRATION in Villach/Beljak. Diese hat sich im März 2009 aus einer Protestveranstaltung gebildet, die sich der unrechtmäßigen Abschiebung einer tschetschenischen Familie entgegen gestellt hat. Ein Projektschwerpunkt der PLATTFORM MIGRATION ist die Erstellung eines Integrationsleitbildes für die Stadt Villach/Beljak, ein Modell hierfür wurde unter BürgerInnenbeteiligung in Arbeitskreisen entwickelt. Aktuell arbeitet man an der Homepage „ PLATTFORM MIGRATION “, bei der MigrantInnen zur Sprache kommen und Themen, die MigrantInnen betreffen, wissenschaftlich erörtert werden sollen. Zudem möchte die Homepage Nachschlagefunktionen zu rechtlichen Belangen (beispielsweise den Aufenthalt betreffend) anbieten. Mittels sieben verschiedener Sprachen soll Multilingualität gewährleistet werden.

Laura Ippen engagiert sich seit 2008 bei VOBIS (Verein für offene Begegnung und Integration durch Sprache) in Klagenfurt/Celovec, mit dem Arbeitsschwerpunkt „Deutschkurse für AsylwerberInen“ und dem organisieren von Veranstaltungen, die den interkulturellen Dialog in Kärnten/Koroška fördern sollen. Die ersten Jahre hat sie ehrenamtlich bei VOBIS gearbeitet, derzeit wird ihre Arbeit durch das AMS gefördert. Um Personal dauerhaft anstellen zu könnnen, ist eine Förerung unumgänglich, was mit eine Motivation für VOBIS ist, an der Integrationsdrehscheibe Kärnten/Koroška mitzuwirken.

Das Kinder-Lese-Hör-Buch-Projekt: „Erzähl mir von daheim“ will die Sprachenvielfalt ablichten, die Migration mit sich bringen kann. MigrantInnen erzählen aus ihrem Bereich, über ihre Kindheit oder Geschichten, die für ihre Kindern bestimmt sind und hinterlassen damit Spuren. Selbst wenn sie wieder „abgeschoben“ werden sollten, konnte zumindest ihren Stimmen Raum gegeben werden, ein Raum, den auch die sogenannte Mehrheitsbevölkerung betreten kann. Dabei finden ausschließlich Sprachen außerhalb des EU-Raums Verwendung, die Originalsprachen werden mitsamt ihrem Schriftbild der deutschen Übersetzung gegenüber gestellt, mit Illustrationen versehen und auf einer CD hörbar gemacht. Der Bogen erstreckt sich dabei von Sprachen aus dem Raum Iran-Pakistan-Afghanistan über asiatische Sprachen bis in den Balkan. Wichtig ist „Erzähl mir von daheim“ die multifunktionale Verwendungsmöglichkeit: Das Buch kann Lesestoff, aber auch Lehrmittel für den Deutschunterricht sein. Das VOBIS-Projekt zieht sich über einen längeren Zeitraum, AsylwerberInnen sind im Organisationsteam an der Erarbeitung beteiligt. Verbunden mit dem Buchprojekt ist die Hoffnung, dass sich innerhalb der unterschiedlichen Geschichten ein kultureller Reichtum abbildet. 
Noch ist nicht klar, ob das Buch über einen Verlag oder im Eigenverlag veröffentlicht werden soll. Eine Startfinanzierung (Bund und Land), deckt zwar die Sachkosten ab, ansonsten ist „Erzähl mir von daheim“ein ehrenamtliches Projekt. Die daran beteiligten MigrantInnen dürfen, aufgrund der geltenden Rechtslage, überhaupt nur ehrenamtlich an dem Projekt mitarbeiten.

 

è http://www.verein-vobis.com/
è http://www.projektgruppe-frauen.at/


Kurzfassung: Im Rahmen der Integrationsdrehscheibe Kärnten/Koroška vertreten Laura Ippen (VOBIS aus Klagenfurt/Celovec) und Christiane Schütte (PLATTFORM MIGRATION aus Villach/Beljak) zwei der neun beteiligten Initiativen. Die Integrationsdrehscheibe steht dabei vor der Schwierigkeit, dass von den unterschiedlichen Förderebenen (EU, Bund und Land) derzeit nur einzelne Projekte für förderungswürdig befunden werden. Das erschwert das Anliegen der Plattform, gemeinsam dringend notwendige Akzente im Integrationsbereich zu setzen, die von der Basis und den betroffenen MigrantInnen ausgehen sollen. Das Land Kärnten/Koroška möchte dabei einzelne Initiativen, aufgrund von fundamentalen Vorbehalten, generell ausschließen. Die Integrationsdrehscheibe will sich dadurch aber nicht auseinander dividieren lassen, die Kooperation zwischen den einzelnen ProjektpartnerInnen ist bereits Tatsache – wenn vorerst auch auf informeller Ebene. Dabei wird es unumgänglich sein, dass die Integrationsdrehscheibe Kärnten/Koroška stärker an die Öffentlichkeit tritt. Generell sollte (auch bei der Homepage der PLATTFORM MIGRATION) vermehrt auf das Potential, das MigrantInnen in die Gesellschaft einbringen können, hingewiesen werden. 
Auch Laura Ippen und Christiane Schütte sind streng genommen Migrantinnen. Beide sind aus Deutschland zugewandert, und ihr „Anders-Sein“ bekommen sie immer wieder zu spüren. Wobei sie sich ihrer privilegierten Stellung als EU-Migrantinnen, die noch dazu die gleiche Sprache sprechen (auch wenn es nach wie vor Verständigungsschwierigkeiten gibt), bewusst sind. Sie haben die Wahl, inwieweit sie sich integrieren wollen, ein Luxus, der anderen MigrantInnen meist versagt ist.
Die PLATTFORM MIGRATION wirkt derzeit intensiv (neben der Arbeit an dieser Homepage) an der Erstellung eines Integrationsleitbildes für die Stadt Villach/Beljak mit.
VOBIS engagiert sich vor allem in der Vermittlung von deuschen Sprachkenntnissen. Ein spannendes, aktuelles Projekt von VOBIS ist „Erzähl mir von daheim“, ein Kinder-Lese-Hör-Buch-Projekt, in dem MigrantInnen Geschichten für Kinder aus ihren Herkunftsländern erzählen. Auf deutsch und in den jeweiligen Landessprachen.