Migration  Migration und Kommunen

Dr. Bettina Gruber, Partizipation und Bildung, Universitätsforum Alpbach, Thema: Migration,Bildung und Jugend, Klagenfurt 09.02.2012                                                                                                                                        „Es geht einerseits um Kritik an einem Verständnis von Integration als notwendige Eingliederung der MigrantInnen in eine nationale ‚Containergemeinschaft` - selbst dann, wenn dies als multikulturell imaginiert wird. Andererseits eröffnet dieser Zugang einen ‚Multikulturalismus von unten` zu formulieren, der Sexismus, Kapitalismus, Postkolonialismus und die damit in Verbindung stehenden Konjunkturen des Rassismus transparent macht“ (Petra Neuhold/Paul Scheibelhofer).[1]

Einleitung

Meist sind es schlechte Nachrichten, wenn Migration und Zuwanderung ins Blickfeld gerückt werden. Es gibt Meldungen über Anschläge, Unruhen, Morde an KünstlerInnen und PolitikerInnen im Zusammenhang mit kulturellen und sozialen Konflikten. Besonders betroffen macht es, wenn ehemals Vorzeigeländer im Kontext der Migration, des interkulturellen Lernens etc. sich zunehmend mit rechtspopulistischen Entwicklungen auseinander zu setzen haben. In vielen Ländern Europas, wie etwa Italien, Ungarn und Österreich, um nur drei Beispiele zu nennen, sind beängstigende Entwicklungen in Richtung zunehmender Verstärkung des Rechtspopulismus zu beobachten. In ganz Europa leugnet nach wie vor ein Großteil der Regierungen, dass die Länder Europas zu Einwanderungsgesellschaften geworden sind und diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen ist. Es stellen sich folgende Fragen: Wie sieht der gegenwärtige gesellschaftliche Diskurs aus, der europaweit hauptsächlich im Sog des Rechtspopulismus steht und gegebene Realitäten von Einwanderungsgesellschaften mit ihren Prägungen negiert (Sarrazindebatte, rechtspopulistische und Debatten der politischen Mitte in verschiedenen Ländern Europas…)? Welche politische Kultur ist dafür verantwortlich, dass ein großer Teil der Gesellschaft nach wie vor eine homogene Gesellschaft phantasiert, die nicht existiert und nie existiert hat? Welche Rahmenbedingungen benötigen wir, dass Menschen menschenwürdig und egalitär in ihren Lebensumwelten zusammen leben können und wollen?

Kommunen als konkreter Ort des Zusammenlebens

Die internationale, europäische aber auch nationale Gesetzgebung beeinflusst wesentlich die Voraussetzungen für ein Zusammenleben von Gruppen und Individuen. Der konkrete Ort des Zusammenlebens jedoch sind Kommunen. Dort zeigen sich die weiten Spielräume des Miteinanders, das sowohl von hohen Spannungen, Auseinandersetzungen und Konflikten aber auch aufgrund nachhaltiger Konzepte und Maßnahmen in ein gewaltfreies und möglichst spannungsärmeres Zusammenleben münden kann. Hier gilt es die Frage zu stellen, welche Möglichkeiten bestehen, Gemeinden und Städte gemäß den zumeist nach wie vor exkludierenden und vielfach diskriminierenden Bedingungen und Gegebenheiten neu zu gestalten.

Aktuelle Studien zeigen, dass innovative Integrationskonzepte das Zusammenleben in Kommunen wesentlich verbessern – hier sind etwa in Deutschland Osnabrück und Frankfurt/Main zu nennen oder Basel in der Schweiz; über eine nachhaltige Schwerpunktsetzung  kann eine hohe Sensibilisierung  für einschlägige Problemstellungen und relevante Zukunftsfragen erreicht werden. Alle unter der Ägide kommunaler Verwaltungen stehenden Bereiche, wie etwa frühkindliche Erziehung, Bildung, Wohnungsfragen, Gesundheit und Kultur können, wenn sie positiv und proaktiv gestaltet werden, wesentlich zu einem spannungsfreieren Zusammenleben beitragen, auch wenn gesetzliche Rahmenbedingungen und arbeitspolitische Fragen in Kommunen nicht entschieden werden; so sind Kommunen in der Lage, in den Bereichen Bildung und Partizipation einen unterstützenden Rahmen zur Verfügung zu stellen.

Gesellschaftliche Teilhabe und Bildung

Geht es nun um die Einbindung und gesellschaftliche Teilhabe von jungen Menschen, ist es unerlässlich, nicht nur die Jugendlichen selbst in den Blick zu nehmen, sondern sich auch die strukturellen und sozioökonomische Rahmenbedingungen anzuschauen. Sie verfügen zu einem Großteil nicht über die gleichen Voraussetzungen der sozialen und gesellschaftlichen Partizipation, sondern werden nach wie vor zumeist als ,ethnisch Andere’ mit erhöhtem Integrationsbedarf gesellschaftlich festgelegt (Geisen 2009,  S 10.).

Integrationsproblematiken wie etwa Arbeitslosigkeit, Bildungsbenachteiligung oder Schwierigkeiten des Spracherwerbs sind kein direkter Effekt von Migration, sondern wesentlich bedingt durch die Lebensbedingungen, die den MigrantInnen, vor allem auch Kindern und Jugendlichen; durch die Aufnahmegesellschaft zugemutet werden.

Gesellschaftliche Teilhabe hat wesentlich mit Bildungschancen zu tun – fremde Sprache und Kultur werden nach wie vor als Problem gesehen. Sprache und Kultur sind nach wie vor als ,Distinktionsmerkmale’ wesentlich, um die Dichotomie von ,Eigenem’ und ,Fremden’ aufrecht zu erhalten. Dies hat wesentliche Folgen für die Möglichkeiten bzw. Grenzen von Bildung und Partizipation bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationdhintergrund (Gogolin/Krüger-Potratz zit. nach Geisen 2099, 19). Städte und Gemeinden können gesetzliche Rahmenbedingungen nicht negieren; sie können jedoch in längeren Reflexionsprozessen diese Desintegrationsproblematiken in den Blickpunkt rücken und über kommunale Konzepte Inklusion fördern.

Integrationskonzepte und deren wissenschaftliche Begleitung

Dazu ist es notwendig, immer beide Ebenen in den Blick zu nehmen. Einerseits geht es um das Sichtbarmachen der politischen Rahmenbedingungen auf staatlicher und europäischer Ebene, die den Ausgangspunkt für nicht funktionierende Integration schaffen - auch auf diese Rahmenbedingungen können Städte konzertiert in Staaten Einfluss nehmen. Andererseits wird die kommunale und regionale Ebene wesentlich, die der Ort ist, wo friedensfördernde inkludierende Integrationsprozesse unterstützt werden können. Dies kann durch die Initiierung langfristiger und nachhaltiger Integrationskonzepte mit der Schaffung kontinuierlichen Kommunikations-, Dialog- und Vernetzungsstrukturen, der Installierung von Begegnungsräumen bzw. durch ergänzende Bildungsangebote in Kommunen erfolgen, sowie durch innovative Projekte und Maßnahmen im Kontext von partizipativen Ansätzen. Integrationsleitbildprozesse, -konzepte und –maßnahmen in Städten bzw.deren Evaluierung liefern Erkenntnisse, in welcher Form Kommunen gesellschaftliche Teilhabe fördern können. Wesentlich für deren langfristige Qualität ist jedoch die wissenschaftliche Begleitung solcher Prozesse und die Gewinnung neuer Erkenntnisse im vorliegenden Forschungsbereich, dem sich das Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik gegenwärtig widmet.

Literatur:

Thomas Geisen/Christine Riegel: Jugendliche MigrantInnen im Spannungsfeld von Partizipation und  Ausgrenzung – eine Einführung. In Thomas Geisen/Christine Riegel (Hg.): Jugend, Partizipation du Migration. Orientierungen im Kontext von Integration und Ausgrenzung (Vs Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, 2. Auflage 2009)

Ingrid Gogolin/Marianne Krüger-Potratz: Einführung in die Interkulturelle Pädagogik (Opladen/Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich.2006; zit. Thomas Geisen/Christine Riegel ebd.

Mag. Dr. Bettina Gruber:  Zeithistorikerin und Friedenspädagogin, Stellvertretende wissenschaftliche Leiterin des Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Forschungsschwerpunkte

 Friedensforschung, Friedenspädagogik, Migration und Kommunen, Peace building <Alpen-Adria und Südosteuropa>

Titel der Dissertation : „Die Zukunft mitgestalten – Jugend auf dem Weg nach Europa. Rahmenbedingungen, Methoden und Projekte für eine zeitgemäße, emanzipatorische, kommunale und internationale Jugendpartizipation anhand von Beispielen aus Deutschland und Österreich“ (Diss. Universität Salzburg 2003).

Publikationen (Auszug)

Bettina Gruber/Daniela Rippitsch (Hg..): Jahrbuch Friedenskultur 2011. Migration. Perspektivenwechsel und Bewusstseinswandel als Herausforderung für Stadt und Gesellschaft (Drava: Klagenfurt 2011).

Dies.: Migration und Integration. Kommunen im Zugzwang. In: Utta Isop/Viktorija Ratković (Hg.).Differenzen leben. Kulturwissenschaftliche und geschlechterkritische Perspektiven auf Inklusion und Exklusion (transcript Verlag: Bielefeld 2011).

Dies./Daniela Rippitsch: Friedensregion Alpen-Adria? Lernerfahrungen in einer europäischen Grenzregion (Wochenschau/Wissenschaft/Schwalbach/Ts.2011).

Renate Grasse/Bettina Gruber/Günther Gugel(Hg.): Friedenspädagogik. Grundlagen, Praxisansätze, Perspektiven (rowohlts enzyklopädie. Reinbek/Hamburg 2008).

Dies./Werner Wintersteiner/Gerlinde Duller: Friedenserziehung als Gewaltprävention. Regionale und internationale Erfahrungen (drava Diskurs: Klagenfurt 2009).

Kontakt

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik

Universitätsstr.65-67

A-9020 Klagenfurt

Tel.: 0043/ (0)676/3305449

e-mail: bettina.gruber@uni-klu.ac.at


[1] Petra Neuhold/Paul Scheibelhofer, Provincialising Multiculturalism. Postkoloniale Perspektiven auf Multikulturalismus, Diversität und Emanzipation. In: PROKLA. Zeitschrift für kritische Soziaalwissenschaften, Heft 158, 40. Jg.2010, S. 98.

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