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Soziale Ungleichheit oder kulturelle Differenz? Integration und politisches Leitbild

Rebekka Ehret

Einleitung

Bis am 24. Oktober 2007 die Verordnung über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern (VIntA) erlassen wurde, gab es auf Bundesebene in der Schweiz keine offizielle  Integrationspolitik. Diese war in der Schweiz während langer Zeit kein Thema gewesen, da sich das Land immer schon als multikulturelles Land mit grosser politischer Integrationskraft verstanden hatte. Einerseits ist Vielfalt durch das föderalistische System ihrer politischen Institutionen gewährleistet, andererseits auch durch das Proporzsystem, das auch kleineren Parteien, also einem breiten Kreis von Interessierten die Teilhabe an politischer Macht zubilligt (vgl. Mahnig 1996). Wenn nun aber ein Fünftel der Bevölkerung nicht über einen Schweizer Pass verfügt, bedeutet das auch, dass diese Personen nicht am - im Prinzip - demokratisch organisierten Politprozess teilnehmen können resp. teilnehmen werden können. Es handelt sich dann um ein System, das zwar Vielfalt integrierend gedacht, aber nicht auf eine Partialisierung der politischen Partizipation durch Einwanderung vorbereitet war. Die Tatsache, dass nun ein Teil der obengenannten Vielfalt und Wertepluralisierung auch in der modernen Migrationsgesellschaft per se begründet liegt, wurde in der rechtlich-öffentlichen Diskussion über viele Jahre, ja Jahrzehnte in das kollektive Unterbewusstsein verdrängt, und Integrationsanliegen wurden von eher karitativ arbeitenden, und teilweise auch eher paternalistischen Institutionen übernommen. Ergänzend dazu hat die Tatsache, dass alles was mit der Reglementierung von Hinzugezogenen ein fremdenpolizeiliches Anliegen darstellt, die Wahrnehmungsbrille insbesondere der Mehrheitsgesellschaft dahingehend gefärbt, dass ‚der Fremde‘ entweder ein armer, hilfsbedürftiger Mensch (siehe oben) oder aber in der Nähe eines Kriminellen anzusiedeln sei. Dies alles trug tendenziell dazu bei, dass die Debatte geprägt gewesen war von Schwarz-Weiss Malereien und relativ einfachen assimilatorischen Erklärungsmodellen für eine gute vielfältige Gesellschaft (vgl. Wicker 2009).

Angesichts dieser Tatsache hatte sich die Regierung des Schweizer Stadtkantons Basel-Stadt 1997 in ihrem Regierungsprogramm bis 2001 als eines der vier Schwerpunktthemen von besonderer Aktualität die ‚Bevölkerungs- und Stadtentwicklung‘ vorgenommen. Mit dem Ziel sowohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Standortattraktivität als auch ein friedliches Zusammenleben von - wie es heißt - ausländischer und einheimischer Bevölkerung zu fördern, wurde die Integrationsthematik zusammen mit Fragen zur Stadtentwicklung und Wohnqualität auf derselben Ebene angesprochen (Ehret 2002).

 

Erste Schritte

Aus diesen Überlegungen entstanden zwei Projekte. Erstens, das Projekt WERKSTADT BASEL, bei dem – gemeinsam mit der Bevölkerung – die nötigen Voraussetzungen zur qualitativen Verbesserung des Gemeinwesens vorbereitet und der Dialog zwischen Politik und Bevölkerung gefördert werden sollen. Zweitens wurde in diesem Zusammenhang das Ethnologische Seminar der Universität Basel, das mit den Forschungen der Autorin am Nationalen Forschungsprogramm NFP 39 zu Migration und interkulturellen Beziehungen beteiligt war, vom neu eingesetzten Migrationsdelegierten beauftragt, ein Leitbild und Handlungskonzept für eine verbindliche Integrationspolitik zuhanden der ebenfalls neu ernannten Kommission für Migrations- und Integrationsfragen zu erarbeiten (vgl. Ehret 1999).

Der im Prinzip als ‚äußerer‘ Bezugsrahmen gedachte regierungsamtliche Beschluss, Stadtentwicklungs- und Integrationsfragen als miteinander in Zusammenhang stehende Thematiken anzugehen, wurde in seiner ‚inneren‘ Konsequenz als ‚Grundphilosophie‘ der zukünftigen Integrationspolitik erkannt. Diese Grundphilosophie drückt sich einerseits darin aus, dass Integration von Ausländerinnen und Ausländern ein in den meisten Fällen spezifisch städtisches Anliegen darstellt, Integration überhaupt jedoch als gesamtgesellschaftliche Angelegenheit gesehen wird. Deshalb wurde in der Analyse zuerst einmal untersucht, welche Strukturen und AkteurInnen auf der urban sozialen, räumlichen und ökonomischen Ebene welche Integrationsmöglichkeiten oder eben -barrieren bedingen, herstellen und/oder fördern. Zum anderen weist Integration als gesamtgesellschaftliches Thema darauf hin, dass sowohl die Gesellschaft als ganze als auch alle Individuen als einzelne angesprochen sind, also sowohl diejenigen mit als auch ohne Schweizer Pass, und strebt somit die positive Einbindung aller Gesellschaftsmitglieder an. In der Konsequenz sollte also eine erstmalige offizielle Integrationspolitik auf der Analyse allgemeiner gesellschaftlicher Ein- und Ausschlussmechanismen basieren und dann berücksichtigen, wo soziale Ungleichheit im Zusammenhang mit Mehrfachdiskriminierung spezifisch bei Zugezogenen passiert. Der Blick war zu richten auf das Vermächtnis der ‚alten‘ Ausländerpolitik (sic!) und die wirksamen Opportunitätsstrukturen, die integrationspolitische Bemühungen überhaupt erst notwendig machten.   

 

Bedeutung struktureller Rahmenbedingungen

Diese Betrachtungsweise ignoriert nicht, dass ‚AusländerInnen‘ mit unterschiedlichen Ausgangslagen und Bedingungen konfrontiert sind. Im Gegenteil versucht sie der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sie (als Gruppe) nicht einfach ‚natürlicherweise‘ da sind; sie werden in der Migrationsgesellschaft durch den spezifischen Blick auf sie, die Rede über sie und den alltäglichen sowie den politischen Umgang mit ihnen immer wieder erneut zur besonderen und anderen Menschengruppe gemacht. Die einzelnen Personen haben als a priori Teil eines Kollektivs, das in den Bewilligungstypen angelegt ist, strenggenommen ihren Subjektstatus verloren und sind deshalb andere. Es wird entsprechend dieser Kollektivierungslogik kontinuierlich ignoriert, dass es sich bei den ‚AusländerInnen‘ um individuelle, durch vielfältige (auch widersprüchliche) soziokulturelle und ökonomische Biographien und Milieus geprägte Menschen handelt und nicht um einen festen, kohärenten, unveränderbaren, monolithischen Block. Die neue Ausrichtung der Integrationspolitik sollten also nach Basel gezogene Personen ohne Schweizer Pass und ihre Kinder nicht per se als kollektiver Problemfall oder als benachteiligte Minderheit höchstens noch unterteilt in Untergruppen mit - wiederum - kollektiven Identitäten begreifen, sondern die strukturell bedingten Ursachen für die Zementierung der Benachteiligung beleuchten und benennen, damit diese im Sinne der gesamtstädtischen sowie gesamtgesellschaftlichen Integration  behoben werden können.

Dem seit der Mitte der 1990er Jahre populär gewordene Aspekt einer imaginierten kollektiven kulturellen Identität unterschiedlicher Einwanderungsgruppen wird bewusst kein Platz eingeräumt. Die verschiedenen persönlichen Lebensweisen und Weltanschauungen aller in der Schweiz lebenden Menschen werden auf der Basis des in der Bundesverfassung verankerten Grundrechts auf Glaubens-, Meinungsäußerungs-, Sprach-, Ehe-, Kultus-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit respektiert und sind entsprechend geschützt.

 

Nichtbedeutung kultureller Differenzen

Die Abkehr vom kommunitaristisch ausgerichteten Integrationsmodell reflektiert die Diskussionsentwicklung um den Integrationsbegriff. Der Differenzdiskurs der siebziger und achtziger Jahre, der das Recht auf kulturelle Andershaftigkeit als Emanzipationsschritt proklamiert hatte und in den neunziger Jahren unter dem Titel Multikulturalismus von der politischen Rechten ausschließend und von der politisch Linken anerkennend verwendet wurde, hat sich in der Migrations- und Integrationsdebatte als rassistisch, da kulturalisierend erwiesen. Die in der Fachliteratur geführte Diskussion zum Kulturbegriff zeigt, dass der sozialpolitisch instrumentalisierte Rückgriff auf ein im Prinzip gutgemeintes, relativistisches Verständnis von Kultur im Migrationskontext vor allem der Verschleierung der tatsächlichen Partizipationsmöglichkeiten am gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und beruflichen Leben dient. Die Jahre währenden auf der Logik der kulturellen Differenz aufbauenden Sondermaßnahmen für Zugewanderte haben eher ausschließend als integrierend gewirkt, da bezeichnenderweise in der Rede über die Anderen, diese geradezu zu prinzipiell Anders-artigen gemacht werden (Englisch othering). Konkreter bedeutet dies, dass die öffentliche oder halböffentliche Reflexion und Debatte (Medien, Vereinsreden, etc.) darüber wie ein Gesellschaftsmitglied in der gesellschaftlichen Alltagspraxis eingebunden wird, als handelndes Moment die soziale Einbindung im Alltag selbst entscheidend mitprägt. Besonders augenfällig und unhaltbar wird dieses Phänomen im Umgang mit Zugewanderten, wenn ihre Zuordnung aufgrund eines angenommenen kulturellen Verhaltens als quasi ‚von der Natur‘ gegebenes Charakteristikum einer ganzen Gruppe vorgenommen wird, obwohl sonst in modernen, sozial differenzierten Industriegesellschaften erlangte soziale Positionen vornehmlich den individuell erworbenen Fähigkeiten zuzuschreiben und zwingend von persönlichen Weltdeutungssystemen - seien die religiöser oder sonstiger lebensanschaulicher Natur - loszulösen sind. Innerhalb des Mehrheitsdiskurses ist es völlig selbstverständlich geworden, dass religiöse Überzeugung und Gesinnung weder für positive noch für negative Diskriminierung im Zugang zum Arbeits-, Bildungs-, Wohnungs- oder Kapitalmarkt als Kriterium herangezogen wird; dies ist für alle im Grundrecht garantiert.

 

Politik der Gleichbehandlung ohne colour-blindness

Bei der Politik der Gleichbehandlung wird der Aspekt der kollektiven kulturellen Identität in den Hintergrund gerückt. Bei diesem Konzept werden zwar auch die verschiedenen Lebensweisen der Zugewanderten respektiert und geachtet, aber sie werden – wie bei den ‚Einheimischen‘ auch – der Privatsphäre des Einzelnen und dort im Bereich des Persönlichen verortet und sind nicht Gegenstand der öffentlichen Debatte. Der Auslegung der eigenen Lebensgestaltungswünsche sind dort Grenzen gesetzt, wo es sich um ein strafrechtliches Vergehen handelt. Das Strafrecht sieht vor, eine Straftat ungeachtet der herkunftschiffrierten ‚Kultur‘ oder sonst eines habitualisierten Verhaltens des Täters oder der Täterin zu ahnden, völlig gleichgültig, ob es sich um Schweizer oder Nichtschweizer Delinquierende handelt.

Die politische per se Berücksichtigung der ethnischen oder kulturellen Identität von eingewanderten Minderheiten wird verweigert. In diesem Sinne wird auch das Design der 1990er ‚der Multikulturalismus‘ als „postmoderner Nachfahre des Nationalismus“ abgestempelt (Frank-Olaf Radtke (1994: 178)): Der Multikulturalismus ist ein regressives Angebot, um mit den Problemen der modernen Gesellschaften umzugehen. Regressiv im psychoanalytischen Sinn des Zurückgehens auf ein früheres Stadium der psychogenetischen Entwicklung, in dem sich die Grundtriade Landeskind, Vaterland und Muttersprache wiederherstellt. Und es ist historisch regressiv, indem es politische Differenzierungsmuster in Gang hält, die einst im 19. Jahrhundert erfunden wurden.

Die Frage lautet also, warum sich kulturelle Differenz im Multikulturalismusgewand als Paradigma durchsetzt, um die Wirklichkeit auf eine ganz spezielle Art zu beschreiben und warum Ethnizität als Lösungsansatz gewählt wird, um gewisse gesellschaftliche Probleme zu bewältigen. „Der Multikulturalismus stellt ethnische Differenz als Mittel der Auseinandersetzung und als Ressource der Konfliktaustragung zur Verfügung und reproduziert sie damit als soziale Tatsache“ (ibid).

In der öffentlichen Kommunikation darüber, was sich tagtäglich zwischen dem Gesellschaftssystem und den in ihm handelnden Gesellschaftsmitgliedern abspielt, wird laufend diskursiv bestimmt und kategorisiert. Kategorisierung von Menschen geht aber immer einher mit Zuschreibungen, d. h. mit Ein- und Ausgrenzung. Wie oben angesprochen, bieten sich Begriffe wie ‚Kultur‘ oder ‚kulturelle Andershaftigkeit‘ im gegenwärtigen öffentlichen Diskurs als Erklärungsmodell für manche gesellschaftlichen Spannungsfelder an. Hier wird nicht kritisch nachgefragt, wie Partizipation eigentlich geregelt ist, sondern mangelnde Integration von Migrantinnen und Migranten wird meist kurzerhand ethno- oder kulturspezifisch erklärt. Obwohl sonst prinzipiell Einigkeit darüber herrscht, dass unsere Positionen in der Gesellschaft denjenigen Fähigkeiten zuzuschreiben sind, die wir individuell erworben haben, erfolgt im Umgang mit Zugewanderten oder in der Rede über sie ihre Zuordnung aufgrund des kulturellen Verhaltens als zugeschriebenes, ‚natürliches‘ Wesensmerkmal einer ganzen Gruppe. Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass sich sowohl seitens der einheimischen als auch der zugewanderten Bevölkerung Ein- und Ausgrenzungen, also Selbst- und Fremdzuschreibungen, oft im Mantel nationaler, ethnischer, aber auch religiöser oder kultureller Färbung präsentieren.

Eine Integrationspolitik sollte diese Tendenz nicht fördern, indem sie vornehmlich auf der kulturellen Ebene operiert, weil dort mit Integration die Assimilation an eine vorgestellte Entität von ‚gemachter, schweizerischer Kultur‘ gemeint wird, sondern sie sollte versuchen, diesen herkunftsorientierten Strömungen entgegenzuwirken, indem sie die sozialen und politischen Probleme und Konflikte aller Beteiligter unter der überholten essentialistischen Decke hervorholt und sie auf der greifbaren Ebene präzise untersuchter Partizipations-mechanismen zu lösen versucht (Ehret 1999, S. 5).

Dabei kann es selbstredend auch nicht darum gehen, unterschiedliche Lebensweisen ‚wegzuargumentieren‘, sondern die darauf aufbauenden Ungleichheiten im spezifischen Umgang mit Migrantinnen und Migranten zu benennen und mindestens längerfristig zu beseitigen. Das Konzept des ethnisch- oder nationalgeprägten kulturellen Verhaltens, das immer noch weitgehend die schweizerische Migrationspolitik beherrscht, lenkt – entsprechend seiner eigenen Logik – als Orientierungshilfe von sozialen Gegensätzen ab und hat bisher auch eine auf Gleichwertigkeit basierende Integrationspolitik verunmöglicht. Da die Betonung ethnischer Differenz von den eigentlichen sozialen Gegensätzen ablenkt, wirkt sie kontraproduktiv bezüglich sozialer Interaktion.

 

Was eine offizielle Politik leisten kann

Im integrationspolitischen Leitbild des Kantons Basel-Stadt wird in erster Linie auf eine konsequente Politik der Gleichbehandlung von Individuen gesetzt; auf eine egalitäre Politik, die nicht primär nach ethnischen Kriterien unterscheidet. Dies ist meines Erachtens politisch gesehen ein interessanter Ansatz, da er, wenn konsequent weitergedacht, in einem zweiten oder weiteren Schritt zum Teil auch in der Förderung und Anerkennung der verschiedenen Gemeinschaften mündet. Zusammengefasst lauten die Grundpfeiler folgendermaßen:

·         Der Stadtkanton Basel-Stadt setzt sich zum Ziel, die soziale Benachteiligung von Zugewanderten der ersten und zweiten Generation zu bekämpfen und Integrationsbarrieren, die die Chancengleichheit zur Partizipation in den Bereichen Arbeit, Bildung, Wohnen und Soziales verhindern, abzubauen.

·         Sie bekennt sich zum Prinzip der Gleichberechtigung von Frauen und Männern.

·         Sie verpflichtet sich zu einer Politik der sachlichen Information, die den Dialog in der Bevölkerung fördert, und versucht, auf allen Seiten integrationshemmende Vorurteile zu beseitigen.

·         Sie setzt sich ein für die Öffnung von staatlichen Institutionen für die Beschäftigung von Migrantinnen und Migranten.

·         Sie fördert die Sprachentwicklung von Kindern und Jugendlichen im Hinblick auf eine fundierte Zweisprachigkeit.

·         Sie nützt konsequent das vorhandene Wissen von Menschen mit Migrationserfahrung in der Integrationsarbeit.

·         Sie unterstützt integrationsfördernde Projekte sowohl auf Stadt- als auch auf Quartierebene.

·         Sie versteht rechtliche Unterschiede als Integrationsschranken und verfolgt längerfristig die politische Linie der rechtlichen Gleichstellung.

 

Reduktion auf Fördern und Fordern

Doch leider bleibt das integrationspolitische Leitbild nur ein Leitbild. Heute figurieren im Kontext der erneut erstarkten Fremdenfeindlichkeit Europas hinsichtlich des Integrationsdiskurses der Migrant und die Migrantin mehr denn je als Teil eines Kollektivs; mehr denn je sind sie ihres Subjektstatus beraubt. So erschließt sich uns die Tatsache, dass wir uns hinsichtlich dessen, was faktisch unter Integration zu verstehen ist, auf einem Rückschritt befinden. Denn in den letzten fünf Jahren hat man sich weniger denn je von einem kulturalisierenden, ethnisierenden, defizitorientierten und assimilatorischen Ansatz gelöst. Das Menschenbild des einwandernden Einzelwesens, dessen Zulassung arbeitsmarktlich reguliert wird, ist entsprechend der neoliberalen Technokratisierung vom transnational agierenden unternehmerischen Selbst bestimmt. Neuere Untersuchungen zeigen, wie weit wir in der Schweiz von einer ressourcenorientierten, die gesamte Gesellschaft betreffende Zugangsweise entfernt sind, die einen sorgsamen Umgang mit Differenz pflegt (Bopp/ Kreis/ Pinero 2009). Mehr denn je sind wir Zeuginnen und Zeugen des modernisierungstheoretisch begründeten und im Nationalstaat gut verwurzelten Prinzips der hausgemachten Polarisierung von Personen mit und solchen ohne Bürgerrecht in einem gegebenen Territorium. Durch das ganze letzte Jahrhundert hindurch zieht sich die Frage, was gestehen die Mitglieder der Mehrheitsbevölkerung den anderen zu. Es geht also schlußendlich doch nicht um Integration im Sinne von befreiten Opportunitätsstrukturen, sondern um den Wettbewerb um politische Macht.

Die Angst vor Überfremdung und eine Kultur des ungleichheitschaffenden Umgangs mit Zuwanderung haben sich trotz der Bemühungen um neue, wegweisende integrationspolitische Massnahmen bis heute gehalten. Die neuen institutionellen Rahmenbedingungen dieses Umgangs haben sich kaum verändert, wohl aber die Zusammensetzungen der Gruppen. Immer noch ist die Schweizer Zulassungspolitik gekennzeichnet vom tiefen Glauben an eine Andersartigkeit aufgrund von Herkunft. Während in den 1960er Jahren die ‚Gastarbeiter‘ aus Italien oder Spanien die ‚ganz anderen‘ waren, so haben sich die Grenzen, die die Differenz markieren, nun an die Ränder von Europa verschoben. Durch die neu eingeführten Integrationsvereinbarungen, die unter der Aufsicht der Einwanderungsbehörden durchgeführt werden, wird sichtbar, dass das alte Vermächtnis, alles was mit Migration zu tun hat, der Polizei zu überlassen, heute wieder eine Renaissance erfährt. Durch diese Organisationsstruktur wird erneut der Charakter von Bedrohung wirksam, sobald der Blick auf Migration fällt. Ein weiteres verstärktes Problem liegt darin, dass sowohl das neue Ausländergesetz als auch dessen Ausführungsverordnungen über eine relativ geringe Normdichte verfügen, womit den Personen, die in der Verwaltung Entscheidungen treffen müssen, für einen allzu grossen Ermessensspielraum Tür und Tor geöffnet wird. Die daraus entstandene, nahezu zwingend inkohärente Praxis ist sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus humanistischer Perspektive bedenklich.

Die Kontinuität der fortwährenden Dichotomisierung im Umgang mit Migration, die auch als ‚Kulturprodukt‘ der Schweizer und europäischen Geschichte zu sehen ist, wird durch das Konzept des Förderns und Forderns verstärkt. Dieses lässt sich theoretisch, in Anlehnung an Foucault, als Regierungstechnologie verstehen, wie Esteban Pineiro und Jane Haller (2009) ausführen, oder als eine staatlich verordnete Pädagogisierung, so Inès Mateos (2009), wenn etwa mit der Zauberformel ‚Sprache als Schlüssel zur Integration‘ von ökonomischen und strukturellen Faktoren abgesehen wird. In ihrem Aufsatz zeigt Mateos zudem stringent, dass Migrantinnen und Migranten auf die Herkunfts- oder Zielsprache reduziert werden und in ihrer Mehrsprachigkeit nicht wahrgenommen werden.

 

Wider jede Erkenntnis

Interessant ist nun nichtdestotrotz zu untersuchen, warum sich kulturelle Zugehörigkeit als gültiges Erklärungsmuster für Integrationshemmnisse so hartnäckig hält. Warum wird heute das Thema wieder völlig losgelöst von diskriminierenden, strukturellen (rechtlich-politischen) Rahmenbedingungen und der Praxis der Zulassungsreglementierung von Ausländerinnen und Ausländern diskutiert? Verschiedene Studien des Nationalen Forschungsprogrammes 39 haben deutlich gezeigt, dass die meisten der sozialen Probleme, mit denen sich Ausländerinnen und Ausländer konfrontiert sehen, in direktem Zusammenhang mit den Bedingungen der Zulassungspolitik stehen (Chaudet et al. 2000). Andere Untersuchungen des NFP 39 zur sozialen Mobilität bei ausländischen Jugendlichen zweiter Generation legen dar, dass diese im Vergleich zu Schweizer Jugendlichen bei gleichen sozioökonomischen Voraussetzungen erfolgreicher sind (Bolzmann/ Ehret/ Fibbi/ Vial 1999). Warum hält die Praxis, nach einem kurzen Versuch des Aufbäumens gegen das kulturelle Differenzparadigma und des Plädierens für den Blick auf die soziale Ungleichheitsbehandlung am Integrationsmodell der klassischen Modernisierungstheorien fest? Die polare Sichtweise von Integration (was ein stabiles, harmonisches, sich im Gleichgewicht befindendes Sozialsystem suggeriert) und Desintegration als ein Sozialsystem, dessen Existenz gefährdet ist und das gekennzeichnet ist durch abweichendes Verhalten, Konflikte und Spannungen, zeigen die Endpunkte in einem Kontinuum an. Studien aus der Konfliktforschung zeigen, dass die Dynamik von Integration und Desintegration, also „das Prozessieren von Konflikten“ (Heitmeyer 1997) im Grunde die soziale Stabilität moderner, individualisierter Gesellschaften sichert und die Integrationskraft der Schweizer Städte faktisch weit grösser ist als bisher angenommen (Wimmer/ Ehret/ Karrer/ Stienen 2000).

Aufgrund des Integrationsleitbildes gilt Basel-Stadt immer noch als „Pionierkanton“ (Wichmann und D’Amato 2010) hinsichtlich einer zukunftsweisenden Integrationspolitik; dies vielleicht nicht zuletzt darum, weil hinter dem Leitbild die kritische Auseinandersetzung mit der Frage steht, wie Gesellschaftsmitglieder diskursiv definiert werden als ‚die Anderen‘. Dass in den letzten Jahren ein Rückschritt passiert ist, liegt in der spezifischen Logik von Machterhaltung und diskursivem Ausschluss. Die kontinuierlich geschaffene Kohärenz der Ideen und Vorstellungen vom Anderen (Wolf 1999, S. 67) erlaubt es den Etablierten Status und die Vorstellung von Vorrechten der Etablierten zu behalten. Die Wahrung dieses Status wird in Perioden ökonomischer Krisen bedeutungsvoller als in entspannten Zeiträumen (Zick, Küpper und Hövermann 2011). Das Etablierten-Privileg, ausschliesslich durch Blutabstammung im ‚völkischen‘ Sinne zu der vorgestellten Gemeinschaft des Nationalstaats zu gehören, lässt sich auch in Zeiten ökonomischer Krisen nicht streitig machen. In einer Zeit, in der sich selbst die sichersten Anlagen als unsicher erweisen, Durchschnittsfamilien einen höheren Steuersatz bezahlen als Millionäre und Mitverantwortliche für die Finanzkrise ihr Versagen noch vergolden lassen können, ist das eigene Blut etwas, das nicht infrage gestellt ist und auf dessen Symbolik sich konservativ-populistische Parteien mit sicherem Gespür verlassen können. Nur so lässt es sich erklären, warum mit der Verabschiedung des basel-städtischen Integrationsgesetzes im Jahre 2007 – also zehn Jahre nach der Veröffentlichung des eingangs erwähnten Regierungsprogrammes - die individualistische, emanzipatorische Sicht auf Migration wieder einer kollektivistischen, assimilatorischen gewichen ist. Nach wie vor bin ich der Auffassung, dass es eines Umgangs bedarf, der die Zugewanderten nicht kollektiviert, sondern ihnen ihren verlorengegangen Status als handelndes Subjekt und Individuum in allen Lebenslagen zurückgibt. Kollektivierung ein nahrhafter Boden, auf dem die Abgrenzung von und die Problematisierung ganzer Gruppen gedeiht, was wiederum dazu führt, dass Stereotypisierungen und Stigmatisierungen weiterhin zunehmen. In Zukunft gelte es also wieder, die Probleme der  Schweizer Integrationskultur und entsprechend die Mehrheitsgesellschaft in den Fokus zu nehmen, um evidenzbasierte Massnahmen zu entwickeln, damit das friedliche Zusammenleben (siehe oben) längerfristig nicht gefährdet wird.

 

Bibliographie

Bolzman, Claudio/ Ehret, Rebekka/ Fibbi, Rosita/ Vial, Maria: Adultes issus de la migration. Le procesus d’insertion d’une génération à l’autre. Forschungsbericht NFP 39. Genf: Institu d’études sociales 1999.

Chaudet, Isabelle et al: Migration et Travail Social. Une Etude des Problèmes Sociaux des Personnes de Nationalité Etrangère en Suisse. Lausanne: Réalités sociales 2000.

Ehret, Rebekka: Leitbild und Handlungskonzept des Regierungsrates zur Integrationspolitik des Kantons Basel-Stadt. (In mehrere Sprachen übersetzt). Basel: Polizei- und Militärdepartement 1999. www.welcome-to-basel.bs.ch/leitbild_vollversion.pdf.

Ehret, Rebekka: From Fakes to Facts. Warum eine Versachlichung der Integrationsthematik Not tut. In: Franz Jäger/Winfried Stier: Migration und Wirtschaftswachstum. Chur - Zürich: Verlag Rüegger 2002. S. 69 - 82.

Kählin, Walter: Grundrechte im Kulturkonflikt. Zürich: NZZ Verlag 1999.

Mahnig, Hans: Ethnische Segregation als Herausforderung städtischer Politik. Thesenpapier für den Besuch der Fachstelle für Stadtentwicklung Zürich im Schweizerischen Forum für Migrationsstudien in Neuenburg (Manuskript) 2000.

Marschall, Wolfgang: Wozu die Kulturwissenschaften da sind. In: Anderegg, Johannes/ Kunz, Edith Anna (Hrsg.): Kulturwissenschaften. Positionen und Perspektiven. Bielefeld: Aisthesis Verlag 1999. S. 19 - 30.

Pineiro, Esteban/ Bopp, Isabelle/Kreis, Georg (Hrsg.): Fördern und Fordern im Fokus. Leerstellen des schweizerischen Integrationsdiskurses. Zürich: Seismo Verlag 2009.

Wichmann, Nicole/ D’Amato, Gianni: Migration und Integration in Basel-Stadt. Ein „Pionierkanton“ unter der Lupe. Neuchatel: SFM 2010.

Wicker, Hans-Rudolf: Von der komplexen Kultur zur kulturellen Komplexität. In: Wicker, Hans-Rudolf et al. (Hrsg.): Das Fremde in der Gesellschaft. Migration, Ethnizität und Staat. Zürich: Seismo 1996.

Wimmer, Andreas/ Ehret, Rebekka/ Karrer, Dieter/ Stienen, Angela: Integration – Segregation. Interkulturelle Beziehungen in Basel, Bern und Zürich. Schlussbericht NFP 39. Zürich: 2000.

Wolf, Eric: Envisioning Power: Ideologies of Dominance and Crisis. Berkley - Los Angeles: University of California Press 1999.

Zick, Andreas/ Küpper, Beate/ Hövermann, Andreas: Die Abwertung der Anderen. Forum Berlin: Projekt „Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus“. Bonn: bub 2011.